Liebe Freunde,
auch wenn heute viel darüber geklagt wird, dass dieses oder jenes unerschwinglich oder das Geld knapp sei, dann besaßen die Klagen darüber früher viel mehr Berechtigung.
Besonders kleine Landwirte oder Gewerbetreibende konnten davon ein Lied singen. Rechnungen wurden oft erst am Ende des Jahres gestellt und noch später bezahlt. Bargeldmangel war ein verbreitetes Phänomen. Im Alltag ließ man „anschreiben“. Die Finanzierung von Anschaffungen oder der Kauf von Ware beim Großhändler lief angesichts der klammen Kassen nicht über Bankkredite (die nur gegen Sicherheiten gewährt wurden, das Wort „gewährt“ trifft es sehr gut!), sondern über Zahlungszusagen.
Das heißt, die Ware wurde geliefert, der Abnehmer bat um Zahlungsaufschub und stellte einen Wechsel aus, in dem er sich verpflichtete, zu einem bestimmten späteren Termin die Kaufsumme, ggf. zuzüglich Zinsen, zu zahlen.
Weil es sich dabei um eine verbreitete Praxis handelte, bot die Post ab Oktober/November 1871 das Mittel des Postmandats, später Postauftrag, an. Damit sollte die Geldeinziehung von Wechselzusagen auch über größere Distanzen erheblich erleichtert werden.
Das Dumme dabei war, dass die Wechselaussteller gar nicht so selten gerade nicht flüssig (oder anzutreffen) waren. Sie verweigerten daher die Einlösung, es wurde Wechselprotest erhoben und die Angelegenheit bekam dann meist ein juristisches Nachspiel, wenn weitere Einziehungsversuche scheiterten. Für die Beteiligten war das schlecht, für uns Philatelisten gut, weil sich in der Regel nur im Fall der Nichteinlösung entsprechende Postsendungen erhalten haben.
Möglicherweise gehören die beiden hier gezeigten Stücke zum gleichen Vorgang, das lässt sich aber trotz übereinstimmender Orte nicht beweisen, zumal die Daten unterschiedlich sind.
Für die Hinsendung eines Wechsels von der Gewerbe- und Landwirtschaftsbank Erding (einer Genossenschaft, die kleinere Brötchen zu backen bereit war als die etablierten Geschäftsbanken) zum Adressaten adressierte man einen Briefumschlag an die zuständige Post, hier Hallbergmoos. Die Frankatur von 62 Pfennigen setzt sich aus 12 Pfennigen für den einfachen Fernbrief, 30 Pfennigen für die Einschreibung und 20 Pfennigen Vorzeigegebühr zusammen. Im Erfolgsfall hätte die Post noch die Kosten für die Postanweisung von der erhobenen Summe abgezogen.
Im Brief lagen ein ausgefülltes Formular und der einzuziehende Wechsel, der nach Zahlung ausgehändigt werden sollte.
Wenn, wie hier, Protest erhoben (also vom Schuldner nicht gezahlt) wurde, ging der Brief samt Inhalt zurück, wofür eine Protestgebühr fällig wurde. Wie uns die Wikipedia lehrt, waren seit dem 1. April 1936 die Protestgebühren gestaffelt (für 50 = 1 RM, 100 = 1,50 RM etc.). Das Zeugnis über die Protesterhebung kostete 2 RM.
Solche Belege wurden dann vom Gläubiger zu den Akten genommen, häufig gelocht, hier zum Glück „nur“ mit Büroklammern aus Stahl (daher die Rostspuren) im Vorgang archiviert.
Als Heimatsammler muss man meist lange warten, bis man solche Stücke zeigen kann, zumal in der Kombination Versandumschlag und Formular. Fehlt nur noch der Wechsel ...
In philatelistischer Hinsicht interessant ist außerdem, dass man als Heimatsammler die höheren, zweifarbig gedruckten Werte der Hindenburg-Medaillonausgabe üblicherweise nur auf Paketkarten zu Gesicht bekommt.
Viele Grüße aus Erding!