Österreich - Großbritannien

  • Hallo Sammlerfreunde,

    hier hat sich eine rege und für mich sehr lehrreiche Diskussion entwickelt.

    Soweit ich eure Ausführungen richtig verstanden habe, lässt sich der Laufweg des Briefes ohne zusätzliche (Vermerke, Stempel) nicht mehr mit absoluter Sicherheit bestimmen.

    Nun bin ich soweit, dass ich den Text mit freundlicher Unterstützung fast vollständig entziffern konnte. Bei dem angehängten Muster dürfte es sich um Proben aus Glas handeln.

    Brieftext:

    Ich besitze Ihre Geehrten vom 7 & 8 ds. Betreffs

    der Prismen für Defries liegt der Unterschied lediglich in

    der Beziehung, was Sie jedenfalls selbst bereits wahrgenommen

    haben.

    Die Daten der Prismen habe dankend notiert. Eben-

    so die Ordre von Defries, auf deren Entscheidung in circa

    6 Wochen Sie mit ziemlicher Sicherheit rechnen dürfen.

    Wenigstens habe ich die Ordre mit dieser Bedingung

    der Fabrik überschrieben, d. bisher nichts gegentheiliges

    erfahren. Was die Preise der Pendeloques betrifft, so

    bleiben sie für diese Probe wie Sie notiert haben. Über

    Ertheilung der Factura werde nothwendig werden-

    de Abänderungen für spätere Ordres angeben. Von

    7&8" sind doch 2 dz. je verstanden?

    Ordre Wignall (?) gebe in Arbeit. Morris hat

    die Flüssel (Glasflüsse ?) einmal mit matt zugeschliffener Rückseite

    & dann auch mit ganz roher Rückseite erhalten. Um

    nicht irre zu gehen, überreiche Ihnen anhängend ein

    paar Muster, die im Papier

    Nr 1 sind mit roher Rückseite & in

    Nr 2 sind matter

    & bitte sie mich unterrichten zu wollen in welcher Aus-

    führung die Ordre sein soll. Das dessin (design) der beigehenden

    Muster ist nicht zu berücksichtigen, da es sich hier lediglich

    um die Fläche der Rückseite handelt. Diese Anfrage hält

    den Gang der Fabrication nicht auf. Wenn Sie mir bald das nöthigste

    mitteilen können. Eine Musterkarte von solchen Flüsseln

    samt genauester Notirungen werden sie im laufe

    der nächsten Woche erhalten.

    Anmerkung in schräger Schrift am Rand: Muster, Prima, Factura

    Sie erhalten beigeschlossen 2 Facturen ad

    L 24.16.2 sammt Prima, für J. Defries & Sons, dort (?), &

    L 29. 9. 5 für S. & C. Bishop & Co, St. Helena, &

    bitte Sie, soche ihrer bestimung zu zuführen.

    Ich erlaube mir

    L 29 expr. (?) 8 Sept. d. J. auf Sie zu entnehmen

    wovon Sie Notiz nehmen wollen

    Mein Ergebenes vom 9 ds bestätigend

    empfehle mich ihnen

    Freundschaftlichst ergebent

    Spinets (?)

    Anmerkung:

    Pendeloque (auch Briolette) ist die gemmologische Fachbezeichnung für einen facettiert und in Tropfenform geschliffenen Schmuckstein (Wikipedia).

    Liebe Grüße

    Franz

  • Hallo zusammen,

    der von kibitz gezeigte Artikel 1 des Postvertrages Vereinigtes Königreich/Österreich 1865 (gültig ab 01.01.1866) - der ja sinngemäß nichts anderes ist als der von Ungarn-1867 in Posting #12 gezeigte Ausschnitt aus dem Briefposttarif 1868 - ist im zweiten Absatz zunächst einmal in der Tat eindeutig, da nur über Frankreich spediert wird, wenn die Leitwegangabe "via France" ist. Kurz danach ist aber zu lesen: "oder für welche die der Versendung auf diesem Wege entsprechende Postgebühren von den Aufgebern vorausbezahlt worden sind.".

    Es gab also offensichtlich folgende Möglichkeiten:

    1. Leitweg Frankreich angegeben => Leitung über Frankreich
    2. Kein Leitweg angegeben => Leitung über Frankreich
    3. Leitweg Belgien angegeben => Leitung über Belgien

    Ein Beispiel für Möglichkeit 2. (1867.01.22_London_Wien) habe ich gestern in Posting #15 gezeigt (und diesem Posting nochmals angehangen). Beispiele für die Möglichkeiten 1. (1867.07.23_London_Triest) und 3. (1869.05.12_Manchester_Panscova) hängen ebenfalls diesem Posting an.

    Wie daneben dem Beispiel für Möglichkeit 3. entnommen werden kann, wurden solche Briefe bzw. deren zugehörigen Briefpakete immer in Aachen geöffnet und "AUS ENGLAND PER AACHEN FRANCO" abgeschlagen. Alleine dieses Merkmal ist für mich ausreichend zu entscheiden, welcher Leitweg genommen wurde. Mit anderen Worten: Alleine deswegen muss mein Brief von London nach Wien über Frankreich gelaufen sein.

    Für mich spricht weiterhin einiges dafür, dass der Brief von Altsteirer über Frankreich spediert wurde, ist er zumindest nach der Aufstellung oben einer der zweiten Kategorie.

    Viele Grüße,

    nitram

  • Hallo nitram,

    da es zu dieser Zeit nicht anhand des verklebten Portos ersichtlich war wie der Brief zu laufen hatte

    (es sei denn er war schwerer als eine viertel Unze dann aber über Belgien) gab es an sich nur die Möglichkeit über Belgien.

    Deine Möglichkeit 2. verstehe ich nicht da kein Leitweg angegeben = über Belgien hieß.

    Möglichkeit 3. "via Belgien" musste eben nicht auf dem Brief vermerkt werden.

    Der Leitweg über Belgien war deutlich billiger, lief häufiger, das Porto für den Leitweg ist vollbezahlt, es steht kein "via Frankreich" auf dem Brief.

    Hier noch ein Brief "via Ostende" ohne Aachen Stempel nach Hamburg

    https://www.ebay.de/itm/2304-GB-18…iAAAOSwysRan7If

    Beste Grüße

    kibitz

  • Hallo kibitz,

    ein paar Anmerkungen zu Deinem Posting:

    "da es zu dieser Zeit nicht anhand des verklebten Portos ersichtlich war wie der Brief zu laufen hatte (es sei denn er war schwerer als eine viertel Unze dann aber über Belgien) gab es an sich nur die Möglichkeit über Belgien."

    => Ich verstehe Deine Schlussfolgerung nicht. Zudem: Ab 01.01.1866 war der Leitweg über Frankreich der Standard.

    "Deine Möglichkeit 2. verstehe ich nicht da kein Leitweg angegeben = über Belgien hieß."

    => Genau das ist nicht der Fall. Siehe Abbildung unten aus dem Moubray-Buch, und dort vor allem die markierten Zeilen.

    "Möglichkeit 3. "via Belgien" musste eben nicht auf dem Brief vermerkt werden."

    => Ist genau umgekehrt, da wie gesagt "via Frankreich" ab 01.01.1866 der Standard war. Zumindest galt das so vom Vereinigten Königreich nach Frankreich und meine Annahme ist und war auch schon gestern, dass das eigentlich umgekehrt genau gewesen sein musste (kann ich aber nicht belegen).

    "Der Leitweg über Belgien war deutlich billiger, lief häufiger, das Porto für den Leitweg ist vollbezahlt, es steht kein "via Frankreich" auf dem Brief."

    => Korrekt, der Leitweg über Belgien war billiger. Dennoch muss er ja nicht zwangsläufig Standard gewesen sein. Was Du mit "das Porto für den Leitweg ist vollbezahlt" meinst, verstehe ich nicht. Ist für mich auch ein Widerspruch in sich.

    "Hier noch ein Brief "via Ostende" ohne Aachen Stempel nach Hamburg"

    => Verbuche ich unter Ausnahme. Vielleicht hat Aachen gepennt? Vielleicht gab es eine andere Zufälligkeit? Keine Ahnung.

    Viele Grüße,

    nitram

  • Hallo nitram,

    da die Moubrays keine Quelle angeben sind habe ich mir nochmals den Postal Guide angesehen.

    Dort habe ich drei relevante Stellen gefunden


    Also bei Briefen ohne Leitwegsangabe war Frankreich nur dann erste Wahl wenn der Brief

    unter 1/4oz wog oder unterbezahlt unter einer 1/4oz war oder unbezahlt war.

    Ich könnte mir vorstellen das die meisten Briefe deshalb über Belgien liefen auch wenn sie keine Leitwegsangabe haben.

    Beste Grüße

    kibitz

    Einmal editiert, zuletzt von kibitz (30. Dezember 2019 um 15:40)

  • Hallo kibitz,

    die von Dir angehangenen Auszüge aus dem "Postal Guide" müssten wegen der Seitenzahlen solche aus dem "British Postal Guide" (Ausgabe 01.07.1868) sein. Meines Erachtens bezieht sich Abschnitt IV. von Nummer 138. nicht nur auf Briefe unter einer 1/4 Unze, sondern auch auf höhere Gewichte.

    Beispiel: Ein Brief - ohne Angabe des Leitweges - hat zwischen 1 Unze und 11/4 Unze gewogen. Damit war er "via Frankreich" in der fünften Gewichtsstufe und "via Belgien" in der dritten Gewichtsstufe. Das Franko war 2s 6d (Frankreich) und 1s 6d (Belgien). Wenn 2s 6d verklebt waren, ist er über Frankreich spediert worden. Wenn irgendetwas kleiner als 2s 6d - beispielsweise 2s 5d - verklebt worden war, dann wäre er über Belgien spediert worden und die britische Post hätte sich über eine Mehreinnahme gefreut (hier im Beispiel über 11d).

    Abschnitt IV. von Nummer 138 ist meines Erachtens genau wie im Beispiel oben zu interpretieren.

    Es steht außer Frage, dass der Versand über Frankreich bei Gewichten über 1/4 Unze monetär irrational war.

    Viele Grüße,

    nitram


  • Hallo nitram,

    die Post kannte das Gewicht natürlich nur wir kennen es in den meisten Fällen nicht.

    Ein guter Teil der Briefe wog sicherlich mehr als die 1/4oz und der oder die Absender (häufig Firmenkorrespondenzen) kannten die entsprechende Vorschrift.

    Da liegt es für mich nahe das ein Großteil der Briefe ohne Leitwegsangabe über Belgien lief.

    Beste Grüße

    kibitz

  • Hallo kibitz,

    eigentlich ist doch jetzt wirklich alles klar, aus einem mir bekannten Grund Dir aber nicht. :rolleyes:

    Es ist doch vollkommen unerheblich, ob wir das Gewicht kennen oder nicht. Alle hier angeführten Primär- und Sekundärquellen sagen, dass in dem Fall "keine Leitwegsangabe" über Frankreich spediert wurde (mit Ausnahme eventueller fehlerhafter Behandlung). Ich habe und werde weiterhin solche Briefe so interpretieren.

    Wenn Deine Theorie "Da liegt es für mich nahe das ein Großteil der Briefe ohne Leitwegsangabe über Belgien lief." stimmen sollte, dann müssten solche Briefe Vertragsstempel aus Aachen aufweisen !!! Außer natürlich den Durchschlüpfern etc., die es immer gegeben haben kann und wird.

    Bevor mir nicht ein oder besser mehrere Brief(e) aus dieser Zeit nach Österreich ohne Angabe des Leitweges, aber mit Aachener Vertragsstempel, gezeigt wird, bin ich raus aus dieser Diskussion. Aber auch ansonsten, weil wahrscheinlich außer uns eh' kein anderer mehr Interesse an selbiger hat.

    Viele Grüße,

    nitram


  • Liebe Freunde,

    was mich stutzig macht, sind Aachen - Stempel.

    Prinzpiell war es ja egal, ob ein einfacher Brief von Wien nach London lief, oder von London nach Wien.

    Wenn es geschlossene Briefpakete gab, also die transitleistenden Postanstalten der AD - Staaten und Belgien einerseites, bzw. die Postanstalten der AD - Staaten und Frankreich andererseits über das Gewicht abgefunden werden mussten, war es doch egal, ob Briefe über Frankreich oder Preussen/Belgien geleitet wurden, weil das Individualgewicht nicht kontrolliert wurde und nur das Gewicht netto des Briefepakets zählte, denn ein Nachwiegen einzelner Briefe wäre ja dann ein Bruch der Vorgabe "geschlossene Briefpakete" gewesen.

    In den Briefkarten stand z. B. 20 Unzen österreichische Briefe über Preussen/Belgien und einen Tag später meinetwegen 10 Unzen österreichische Briefe über Frankreich. Aus dem jeweiligen Franko, welches die Aufgabeposten kassiert hatten, waren dann die Abfindungen der Transitdienstleister bzw. das Weiterfranko zu erbringen.

    Wenn es Briefe aus GB nach Ö gab, die Aachener Stempel tragen, kann das m. E. nur daran liegen, dass London sie nach Aachen kartiert hatte, weil es zu wenig Post nach Ö gab (vlt. nur 2 oder 3 Briefe an dem Tag, da machte man kein eigenes Briefepaket, verklebte keine eigene Beutelfahne, sondern gab die paar Briefe der Post, die auch sonst Poststücke aus dem Ausland in die DÖPV - Staaten leitete, also hier Aachen). In Aachen kamen dann auch z. B. belgische Briefe nach Ö an, so dass man dann mit den britischen Briefen sinnvollerweise ein eigenes Briefepaket nach Wien bzw. Salzburg schicken konnte. Daher haben sicher nicht alle GB - Briefe nach Ö Aachener Transitstempel, wie es im Falle von Ö nach GB keine Aachen - Stempel geben dürfte, weil Ö kein Briefepaket geschnürt haben dürfte, wenn es nur einen Brief gab.

    Aber das sind nur die Gedankengänge eines wenig wissenden Bayernsammlers, der bei eurer Diskussion schon einiges dazu gelernt hat - Danke dafür!

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


    • Offizieller Beitrag

    Aber auch ansonsten, weil wahrscheinlich außer uns eh' kein anderer mehr Interesse an selbiger hat.

    Hallo die Runde

    Es gibt sicher mehrere die gern hier mitlesen als die schreiben :)

    Habe es bis jetzt nur mitlesen können, aber hat jetzt wieder Möglichkeit einige Zeilen zu schreiben.

    Der Vertrag 1.1.1866 sagt eigentlich eindeutig dass Briefpakete überFrankreich zu schicken sind. UK vergütet Frankreich (80 Centimes per Ounce) und Österreich die DÖVP. So wenn nicht anders auf den Brief notiert, dann schickte London die Briefe über Frankreich.

    Nur kenne ich nur die britische Quellenangaben von Tabeart, welche ja auch von Moubray bestätigt ist.

    Wie es von Österreichs Seite aussieht kenne ich aber nicht. Vielleicht waren man hier freier die Briefe über Belgien oder Frankreich zu schicken?

    Ich hätte gern einige Österreichische Quellen zu diese Fragen gesehen, weil mit die britischen kommen wir wahrscheinlich nicht weiter.

    Viele Grüsse

    Nils

    • Offizieller Beitrag

    Hallo zusammen,

    ein durchaus interessantes Diskussionsthema.

    Zitat

    Es steht außer Frage, dass der Versand über Frankreich bei Gewichten über 1/4 Unze monetär irrational war.

    Da die meisten Absender sich hinsichtlich eines zu zahlenden Frankos rational verhielten, ist zu erwarten, dass solche schwereren Briefe dann über Aachen liefen. Hier könnte man doch überprüfen, ob solche Briefe alle einen Eingangsstempel von Aachen aufweisen.

    Abgesehen davon würde mich sehr interessieren, wieso man in den späten 1860er Jahren noch einen Leitweg aus GB über Frankreich-Baden-Württemberg nach Österreich präferiert haben könnte.
    Günstiger war es nicht, schneller vermutlich auch nicht.

    Gruß

    Michael