Desinfektionspost: Spanien – Frankreich

  • 1803/04 gab es in Spanien eine Gelbfieberepidemie. Diese nahm im Juli 1803 in Málaga (Granada) ihren Anfang und verbreitete sich von Andalusien bis Katalonien. In vielen europäischen Ländern wurden Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, um das Einschleppen der Seuche, zu dessen Übertragungswegen man damals noch nichts konkretes wußte, zu verhindern. Zu den Maßnahmen zählte auch das Reinigen von Briefen durch Räuchern bzw. einer Behandlung mit Essig oder Chemikalien. Damit die reinigenden Dämpfe und der Essig auch ins Briefinnere eindringen konnten wurden Briefsendungen oft auch perforiert. In Spanien geschah dies in der Regel durch Schlitzen mittels Messer oder Meißel. Der Gebrauch eines Rastels oder von Ahlen war hier unüblich.

    Der nachfolgende Brief stammt aus einer Korrespondenz, die von Barcelona nach Brügge (Departement der Lys) ging. Aus dieser liegt mir ein zweifach geschlitzter Beleg aus dem Jahr 1803 vor. Briefe des Jahres 1804 weisen lediglich eine Essigbehandlung auf. Im Dezember 1804 ging man dazu über die Briefe mit einer Ahle zu durchstechen. Diese Behandlung wurde bis Ende 1805 fortgesetzt. Bisher ist nicht klar, wo genau die Desinfektion statt fand, vermutlich jedoch gleich beim Eintritt nach Frankreich.

    Die Briefe aus der Korrespondenz waren mit 17, 24, 26 oder 32 décimes taxiert. Die Erklärung des Portos bereitete mir einiges Kopfzerbrechen. Zu dieser Zeit galt wohl der Tarif von 1759, der in décimes umzurechen ist. Dieser setzt sich aus einer "Übergangsgebühr" (von Spanien zu einer franz. Stadt) und einer französischen Inlandsgebühr bis zum Zielort zusammen. Für die "Übergangsgebühr" bietet Chauvet verschiedene Orte an, die jedoch alle nicht zum gewünschten Portobetrag führten. Von Guy Dutau bekam ich dann den Tipp, es noch einmal mit "Spanien-Lille" zu versuchen. Ich hatte ursprünglich bei der Umrechnung von patards in sols mit 12 sols = 10 à 11 patards gerechnet. Diese Parität hatte ich auf einer franz. website gefunden. Guy meinte das Verhältnis sei bis 1,5:1 schwankend gewesen.Nun kam ich auf folgende Werte:

    lettre simple
    – Espagne -> Lille: 20 patars * 1.5 = 30 sols
    – Lille -> Bruges (bis 20 lieues / 89 km): 4 sols
    = 34 sols = 17 décimes

    lettre double
    – Espagne -> Lille: 38 patars * 1.5 = 57 sols
    – Lille -> Bruges (bis 20 lieues / 89 km): 7 sols
    = 64 sols = 32 décimes

    Wie lassen sich die beiden anderen Werte von 24 und 26 décimes erklären, die auch das Zeichen für einen doppelt schweren Brief aufweisen? 26 (25,5) würde 1.5x 17 décimes entsprechen, aber eine Gewichtsstufe hierfür ist mir nicht bekannt.

    Kennt jemand den genauen Leitweg, den die Briefe genommen haben könnten? Ich vermute dass sie ihre Reise über La Jonquera / Perpignan angetreten haben.

    Wäre es auch möglich, dass die Briefe von Barcelona aus auf dem Seeweg nach Frankreich kamen, oder ist dieser Gedanke abwegig?

    Vielen Dank im Voraus,
    André


    Ergänzung:
    - auf dem mit 32 déc. taxiertem Beleg ist rückseitig eine 16 vermerkt
    – auf einem von drei Belegen, die mit 26 déc. taxiert sind, ist rückseitig eine 7 vermerkt

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Andrè

    Ich weiss nicht 100 % sicher aber ich glaube dass Brügge jetzt als französisch gerechnet war, so dass die Gebühre reine französische waren. Deswegen ist eine Teilung bei die alte Grenzen (Belgien) nicht richtig sein kann.

    Viele Grüsse, Nils

  • Hallo Nils,

    Brügge gehörte zum Departement der Lys., sollte also als französisch gelten.

    Chauvet hat in Ihrem Buch "FRANCE LES RELATIONS DE LA FRANCE AVEC L'ESPAGNE 1660 a 1849" auf Seite 91 ein schönes Beispiel: ein Brief (lettre double) aus dem Jahr 1801 von Madrid nach Gent, der einen Portobetrag von 28 déc. ausweist. Sie rechnet folgendermaßen:

    Tarif 1759
    Madrid -> Paris: 40 sous
    Paris -> Gand (60/80 lieues) = 16 sous
    = 56 sous = 28 déc.

    Auf den ersten Blick wirkt alles sehr schön. Nun rechne ich nach:

    Tarif 1759
    Madrid -> Paris: 38 sous
    Paris -> Gand (60/80 lieues) = 14 sous
    = 52 sous = 26 déc.

    Was ist passiert:
    – statt mit 38 sous, wie es in Ihrer Tabelle steht, rechnet sie mit 40 sous
    – bei dem Inlandstarif nimmt sie nicht den von ihr angegebenen Wert für 60/80 lieues (267-356 km) sondern den nächst höheren von 80/90 lieues (356-445 km)

    Es bleiben für mich leider viele ???

    Beste Grüße,
    André

    Einmal editiert, zuletzt von traumsand † (22. Juni 2017 um 17:19)

  • Auf der website http://atrinquier.pagesperso-orange.fr/tarifs/bureau/t1759.html unter dem Tarif einen Nachsatz.

    "En ce qui concerne les poids des lettres, il existe une division supplémentaire de l'once: le gros (1 once = 8 gros). C'est ainsi que dans la tarification des lettres de poids supérieur à 1/4 d'once (ou lettre simple) et inférieur à 1/2 once (lettre double), soit entre 2 et 4 gros, il existe un tarif intermédiaire (bien que non écrit) correspondant à un poids de 2 à 3 gros, la taxe étant égale à 1,5 fois la taxe de la lettre simple."

    Mein französisch ist nicht sehr gut, aber ich meine herauszulesen, dass es neben dem "lettre simple" und dem "lettre double" auch einen Zwischentarif gibt, der in der Gebühren-Tabelle keine Erwähnung findet, und der dem 1,5 fachen des "lettre simple" entspricht. Dieser Hinweis hilft mir schon einmal weiter. Demnach gäbe es

    – "lettre simple", wohl bis 1/4 Unze
    – "lettre simple + Umschlag
    – Zwischentarif, über 1/4 Unze bis unter 1/2 Unze
    – "lettre double", ab 1/2 Unze bis unter 1 Unze
    – "Paquet par once", ab einer Unze

    1 Unze = 30,59 g

  • Hallo traumsand,

    ich lese das anders:
    1/4 once = 2 gros = lettre simple
    über 1/4 once - 1/2 once = 2 - 4 gros = lettre double
    über 2/8 once - 3/8 once = 2 - 3 gros = 1,5 mal die Taxe vom lettre simple
    Ich würde den letzten Satz so übersetzen: Es existiert ein Zwischentarif (wenn auch nicht niedergeschrieben) entsprechend einem Gewicht von 2 - 3 Gros, die Taxe egal zu 1,5 mal der Taxe des einfachen Briefes (ziemlich wörtlich übersetzt).
    Anscheinend war ein Brief über (superieur) 1/4 Unze und unter (inferieur) 1/2 Unze ein lettre double (ca. 7,5 - 15 gr). Ab 1/2 Unze dann das nächste Gewicht.
    Soweit meine Interpretation der französischen Zeilen.
    Ich bin kein Experte für französische Taxen, aber ich meine mich zu entsinnen, daß 7,5 gr und 15 gr die Höchstgewichte für einfachen und doppelten Brief waren.

    beste Grüße

    Dieter

    PS: Bin die nächsten Tage abwesend, weil auf der Jahrestagung der Preußen.

  • Will man die Lösung finden muss man wie ich glaube Chauvets Werk 'Introduction à l'histoire postale des origines à 1849' Teil 2 Tarif des postes françaises mit zu Rate ziehen. Sie zitiert das Werk in les relations de la France avec l'Espagne.

    Fakt ist daß für Briefe aus Spanien der Tarif von 1759 galt. Ich fand keine Angaben dass diese revidiert wurden. Nun gab es 1759 die Départements conquis noch nicht. Die Tarife von damals wurden glaube ich über Paris berechnet. Die Tarife nach der Distanz waren für Briefe zwischen den Städten der Provinz bestimmt (?!?). Kann sein dass ich da falsch liege. Im 'Introduction à l'histoire' sind die genauen Tabellen wiedergegeben: Perpignan - Paris / Paris- Lille usw. Brügge oder Gent gibt es zu dem Zeitpunkt nicht in Frankreich da Ausland.

    Laut Tarif vom 5 Nivose an V (25.12.1796) galt folgendes:

    taxe et affranchissement des correspondances entre l'étranger et les départements conquis

    la taxe de port dû des lettres de l'étranger pour les départements conquis se calcule selon le tarif de 1759 jusqu'à la ville frontière de l'Ancienne France la plus proche du départment conquis + 4 sous

    --> Portobriefe aus dem Ausland für die anektierten Departements berechnen sich nach dem Tarif von 1759 bis zum Grenzübergangsort des alten Frankreich welcher dem Dept. am nächsten liegt + 4 sous 

    La Lys --> Lille

    Ist eine Überlegung wert. Für die Gewichtsprogression ist es jetzt schon etwas spät. Ich habe noch andere französische Bücher in meiner Bibliothek


    Im Anhang Scann aus Introduction à l'histoire postale .... Seite 472

  • Hallo Dieter,

    besten Dank für die Richtigstellung!


    -.-.-.-


    Liebe Lulu,

    viele Dank für den Verweis auf den Tarif "Tarif vom 5 Nivose an V (25.12.1796)". Die 4 sous gelten sicher nur für den einfachen Brief? Es bleibt für mich die Frage offen, warum Chauvet bei ihrer Beispielrechnung ("FRANCE LES RELATIONS DE LA FRANCE AVEC L'ESPAGNE 1660 a 1849" auf Seite 91) die 4 sous (bzw. evtl. etwas mehr für den "lettre double") nicht einkalkuliert und stattdessen gleich Paris -> Gand nach Entfernung berechnet? Eine Erklärung könnt sein, das man damit die die Umrechnungen von patars in déc. umgeht, in dem die alten Tarife nach Lille angegeben sind.

    Beste Grüße,
    André


    Ergänzung

    Mal eine Gegenrechnung für das Beispiel bei Chauvet, wobei hier die 4 sous für den "lettre double" passen würden.
    Madrid -> Paris: 38 sous
    Paris -> Lille (60/80 lieues) = 14 sous
    + 4 sous
    = 56 sous = 28 déc.

    Einmal editiert, zuletzt von traumsand † (23. Juni 2017 um 09:09)

  • Ich hatte vor einiger Zeit einen Brief aus Portugal nach Luxemburg über dem ich fast ein Jahr berühtet hatte mit den 4 sous deuten können. Leider wurde unser Vereinsforum total zerstört und ich habe meine Rechenaufgabe nicht auf dem PC gespeichert. Warum Chauvet die nicht berücksichtigt - keine Ahnung. Ergänzend muss ich sagen dass 'die Introduction à l'Histoire postale' eine neuere überarbeitete Auflage von 2016 ist. Bei der vorherigen Ausgabe war der Text rund um die 4 sous Reglung anders. Wäre eine Erklärung - neue bzw veraltete Erkenntnisse. Das alte Buch (eine Kopie) besitzte ich nun leider nicht mehr.

    Sie erklärt nicht ob die 4 sous auch für die 'Lettres pesantes' gelten. Ich kann dir gerne das ganze Kapitel scannen und per mail schicken. Mal kucken ob ich in les postes françaises - recherches historiques sur leur origine, leur développement von Alexis Belloc noch etwas mehr finde.

    Phila-Gruß

    Lulu

  • Hallo Lulu,

    in der mir vorliegenden 2000er-Ausgabe wird La Lys / Lille nicht explizit erwähnt. Dann scheint die Neuauflage nicht nur ein Nachdruck, sondern eine Überarbeitung zu sein.

    Beste Grüße
    André