Eine Frage der Qualität

    • Offizieller Beitrag

    Liebe Freunde,

    jedem von uns stellt sich regelmäßig die Frage nach der Qualität der zu sammelnden Stücke, seien es nun Marken oder Briefe. Ich möchte hier einmal die Qualitätsfrage auf postgeschichtliche Belege beziehen. Die Qualität eines Beleges setzt sich aus den verschiedensten Aspekte zusammen:
    Erhaltungszustand und Sauberkeit des Beleges an sich
    Qualität der Stempelabdrücke wie auch deren Seltenheit, Kombination
    Aspekte von Herkunft, Destination, Absender, Adressat, evtl. des Inhalts
    letztendlich bei mit Marken frankierten Briefen eben auch die Qualität dieser Marken

    Jeder Sammler setzt hier seine ganz persönlichen Schwerpunkte, je nach Sammlungsthema sicherlich auch variierend.
    Hier gibt es keine allgemeingültigen Vorgaben, was sammelnswert ist und was nicht mehr. Dies ist bei den verschiedenen Sammlungsobjekten auch nicht machbar.
    Als Diskussionsbeispiel diene dieser Brief :

    Ein mit 6 Groschen vollständig frankierter Brief mit Inhalt von Hannover nach Russland.
    Der Brief ist in einem ordentlichen Zustand, die Stempel sind lesbar und er ist klar datierbar.
    Nur die Marken sind teilweise nicht nur angeschnitten, sondern zerschnitten. Als ich den Brief sah, habe ich länger überlegt, ob ich ihn erwerbe.
    Frankierte Hannover-Briefe nach Russland sind selten, aber zu finden. In der 2012 bei Felzmann verkauften Hannover-Sammlung (Suppelt) waren 2 Briefe nach Russland, 1x teilbarfrankiert und 1x vollständig mit Marken frankiert. Die Marken waren dort absolut i.O., die Stempel hingegen sehr schlecht zu erkennen und die allgemeine Optik mittelprächtig bis unbefriedigend. Daran kann man die Häufigkeit schon erkennen.
    Wenn ich diesen Brief nicht erworben hätte, würden möglicherweise Jahre ins Land gehen, bis sich wieder eine Gelegenheit bieten würde. Nun benötige ich für meine Sammlung nicht zwingend einen mit Marken frankierten Brief aus Hannover. Es wäre also durchaus vertretbar gewesen, einen solchen Brief nicht zeigen zu können.

    Diese Diskussion liesse sich genauso gut mit einem markenlosen Brief eröffnen. Auch hier gibt es vergleichbare Situationen: Ein Brief mit seltenem Stempel, der aber undeutlich abgeschlagen wurde, usw.

    Was ich letztendlich hier fragen möchte: Wie sehen andere PO-Sammler diese Qualitätsthemen?
    Wie schon gesagt, kann es hier keine allgemeinen Vorgaben geben, jeder Sammler muss für sich entscheiden, was er in seine Sammlung aufnimmt und was nicht mehr. Mich würde interessieren, wo andere Sammler IHRE Grenze sehen. Was wird NOCH in die eigene Sammlung aufgenommen und was NICHT mehr. Wohlgemerkt meine ich hier schon besondere PO-Belege, die aber trotzdem nicht essentiell für die eigene Sammlung sind, wo also das Qualitätskriterium nicht durch Raritätsaspekte ausgehebelt wird.

    Also: Wo ist für euch eure Grenze, was ihr noch in der eigenen Sammlung sehen möchtet und was nicht mehr?

    Last but not least würde mich von ausstellungserfahrenen Sammlern noch interessieren, wie denn Juroren so etwas einschätzen.

    Ich freue mich auf interessante Beiträge.

    Viele Grüße
    Michael

  • Lieber Michael,

    der Brief hat ein Gesicht - das hat nicht jeder Brief, aber jeder sollte eines haben. Die herausragende Marke in frischem Gelborange sieht sehr gut aus, nur die neben ihr ist defekt, das Paar unten würde ich als Standard ansehen.

    Wenn ich die Seltenheit, die du geschildert hast, als gegeben ansehe, dann wird es sicher den ein oder anderen hübscheren geben. Wer mehr Wert auf Stempel legt, ist mit deinem gut bedient, wer Wert auf breitrandige Marken legt, dürfte ihn eher nicht kaufen wollen.

    In einer PO Sammlung mit dokumentarischem Charakter, die zeigen will, was es gegeben hat, findet er problemlos seinen Platz. In einer Spezialsammlung "Hannoverbriefe ins Postvereinsausland" wäre er auch gut aufgehoben. Der postgeschichtliche Aspekt besteht ja in der Darstellung des Frankos für Hannover und des Frankos für Russland in Marken. Dafür taugt er allemal. Schön wäre es natürlich, wenn man ihn mit einem Portobrief oder einer Teilfrankatur zeigen könnte, um die Unterschiede deutlich heraus zu arbeiten. Muss aber nicht sein ...

    Wenn ein Sammler so einen Brief möchte, aber keinen besseren bekommt, dann zähneknirschend kauft, kann er auch die eine Marke restaurieren lassen. Das kostet vlt. 100 Euro und der Brief sieht dann natürlich ganz anders aus. Aber es ist halt dann auch nicht mehr der Originalbrief - wer hohe ästhetische Ansprüche hat, wird eher zur Korrektur schreiten, wer die reine Lehre bervorzugt, lässt ihn so, wie er vor 160 Jahren war.

    Juroren haben natürlich auch auf die Qualität zu achten, wie sie auch auf vermeintliche Einstandspreise zu achten haben, wenn sie ihren Job gut machen. Erklärt man ihnen aber, dass bei Briefen von Hannover nach Russland immer in einer oder mehrerer Richtung Abstriche gemacht werden müssen, dann werden sie ihn nicht bekritteln. Ein Brief von Preußen oder Sachsen nach Russland dürfte so aber nicht unbedingt aussehen, denn da ist die Auswahl um ein vielfaches größer und es gäbe sicherlich einen Punktabzug hierfür.

    Wenn man, du hast das Beispiel angerissen, einen ganz seltenen Stempel zeigen möchte, der aber nicht wirklich gut abgeschlagen ist, dann sollte man das sein lassen.

    Wenn man markenlastig denkt (und handelt), dann sollte man nur Briefe zeigen, die über fehlerfreie Frankaturen verfügen.

    Wenn man in postgeschichtlichen Dimensionen denkt (einzig bekannte Drucksache, Brief mit noch anhängendem Muster ohne Wert, erster Tag des Postvertrages usw.), dann sollte man nicht wählerisch sein. Viele Postgeschichtler kommen ja aus der Ländersammlerecke und sind von daher nur gute bis sehr gute Qualiät gewohnt. Ihre Mutation zu Postgeschichtlern geht fast immer Hand in Hand mit einer erhöhten Akzeptanz zu weniger guten Erhaltungen, weil sie recht schnell begreifen, dass es eine länderübergreifende PO - Sammlung in Luxus nicht geben kann.

    Sammelt also ein Anfänger im Länderbereich, wird er schlechte Marken und Briefe akzeptieren. Sammelt ein Fortgeschrittener im Länderbereich, wird er nur gute Ware kaufen.
    Sammelt ein Anfänger im PO - Bereich, wird er nur schöne Briefe kaufen wollen. Sammelt ein Fortgeschrittener im PO - Bereich, wird es auch suboptimale Qualitäten zu schätzen lernen.

    Liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo zusammen,

    ich erlaube mir eine Anmerkung aus den eigenen Erfahrungen. Abstriche bei der Quali eines Belegs zu akzeptieren ist für mich zunächst eines der schwierigsten Entscheidungen überhaupt. Grundtenor ist für mich: Keine Qualitätsmängel.

    Wenn (überhaupt) dann muss es eine für den Fortschritt der eigenen Sammlung begründete Ausnahme sein. Deren Belastbarkeit wiederum wächst mit dem was man bereit bzw. in der Lage ist dafür zu geben. Neben den objektiven PO-Kriterien gibt es zugegebenermaßen immer auch subjektive. @Bk hat vollkommen Recht, der w.o. gezeigte Beleg hat ein Gesicht, das ist schon mal ein Anfang.

    Bei außergewöhnlich hoher postgeschichtlicher Bedeutung eines solchen sollte man mit An- oder Einschnitten gerade noch leben können, bei dem o.a. Beleg würde ich persönlich mit der ausgerissenen Ecke der oberen linken Marke langsam beginnen zu hadern. Aber das ist dann wirklich Geschmackssache.

    Eine gute und wichtige Diskussion wie ich finde, hoffen wir auch weiteren input :thumbup:

    + Gruß

    vom Pälzer

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • liebe Freunde,

    ich kann mich euren Beiträgen nur absolut anschliessen, die Qulität ist bei jedem Beleg individuell zu beantworten :thumbup:

    Dieser Brief mit Inhalt zur Auswanderung(Preiscourant in Luxus Erhaltung) ist in geringer Qualität oft zu 25-50.- euro bei EBay
    erhältlich....In dieser Schnittqualität und Gesamterhaltung von 1852(früh für T+T, Beitritt 1.1.1852) sowie dem für T+T einwand-
    freien Schnitt der Marke hatte ich auf der Auktion das 10fache zu bewilligen ;(8o
    [Blockierte Grafik: http://s3.imgimg.de/uploads/InhaltUSAAuswanderungAttestSem028947f1b43acjpg.jpg]

    In diesem Kontext ein Beispiel für Luxuserhaltung.(Schnitt, Stempel,Firmenstempel, Schrift, Briefumschlag ohne Knitter, Inhalt ohne Knick...etc)

    Da der Inhalt eines der Schlüsselstücke für meinen USA Teil ist habe ich den Betrag bewilligt, vor 2Jahren und es keinen-tag bereut.
    Das so eine Qualität nicht bei jedem Stück möglich ist, wenn Du nicht gerade Eriwan Haub heisst verstht sich von selbst ;)

    Viele Grüsse und weiter eine gute Diskussion zu dem spannenden Thema :thumbup:
    BayernSocial

    PS: Michael: Hast Du den oben gezeigten Beleg, dessen Gesicht mir übrigens gut gefällt denn gekauft?

    Beste Grüsse von
    Bayern Social


    "Sammler sind glückliche Menschen"

  • Sammelt also ein Anfänger im Länderbereich, wird er schlechte Marken und Briefe akzeptieren. Sammelt ein Fortgeschrittener im Länderbereich, wird er nur gute Ware kaufen.
    Sammelt ein Anfänger im PO - Bereich, wird er nur schöne Briefe kaufen wollen. Sammelt ein Fortgeschrittener im PO - Bereich, wird es auch suboptimale Qualitäten zu schätzen lernen.

    ... dies trifft den Nagel auf den Kopf!!!

    Beste Grüsse vom
    µkern

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Michael

    Es ist eine interessante Frage die du hier stellst. Und wie du weiss gibt es keine einmalige Antwort zu diese Frage.

    Zuerst muss man ja en Ziel vor sich haben.
    Dann muss man versuchen ein Begriff wie Qulität zu beschreiben.
    Und auch muss man die Begrensungen kennen.

    Eine schöne Frau ist nicht unbedingt das beste wenn sie dum wie ein Regenwurm ist. Aber dass sie trotzdem Qulitäten hat, ist wohl zweifellos.
    Ist es anders bei Belege oder Marken?
    Soll man nur Belege kaufen die man die Freund einmal zeigen soll berucksichtigen oder soll man ein Lebenslang zusammenleben berucksichtigen?

    Wenn man einen Beleg sieht kann man also überlegen ob ich den Brief für den leben braucht oder nur wegen lob von Freunden braucht. Also zwei Ziele die nicht unbedingt einander widerspricht. Aber 99,99 % alle Frauen sehen nach eine Weile ganz normal aus weil man sich gewöhnt.

    Kann einen Brief auch Charm haben? Ja, genau wie Frauen haben die Marken und die Belege Charm, aber das sieht man leider nicht immer auf die Bilder. Bayern klassisch sagt - der Brief hat Gesicht. Ja nicht nur das, der Brief hat auch ein Körper, Kleider, Seele und wohl auch andere Qualitäten die man positiv oder negativ bewerten kann.

    Zu wissen was man gern haben will ist schwierig, was ich letztes Jahr begerenswert fand, ist nicht immer was ich jetzt suche.
    Und hier will ich mikrokerns Zitate etwas widersprechen - weil Suboptimal nur gegenüber "schöne Briefe" steht und nicht was der einzelnen als optimal sieht. Aber sonst unterschreibe ich auch den Entwicklungsverlauf der im Zitate beschrieben ist. Oder anders gesagt - man ändert der weg zu sammlen weil man andere Möglichkeiten sieht wenn andere wege zu sammeln SUCHT.

    Ich kaufe auch gern Briefe die ich auch als "Arbeitsbriefe" nennen will - obwohl es dann klare Begrenzungen gibt - GELD. Und Geld ist auch einen generelle Begrenzung der für die qualitatvie Wünsche die ich habe. Einige postgeschichtlich qualitativ begehrenswerte Briefe sind mir zu teuer - dann muss sekunda Briefe reichen. Und für Arbeitsbriefe will ich dann nicht so viel Ausgeben. Andere Begrenzungen ist ja auch was es auf den Markt gibt - gibt es 100 von ein Typ Beleg die man wünscht kann man anders wählen als wenn es nur wenige gibt, aber dass ist ja auch jeder bekannt. Nur muss man auch betrachten wie spezialisiert man sammeln kann - und dann gibt es plötzlich keine 100 Belege die man kaufen kann - den Auswahl wird geringer.

    Und das ist wohl auch hier das Problem. Man hat was vor sich etwas der begerenswert sein könnte wenn ..... und dann klappt es nicht seine Gewünsche zu erfüllen. Es gibt ja immer diese Zweifelsfälle.

    Aber - es ist mir scheiss egal wie andere meine Briefe finde - es heisst aber auch dass man von anderen auch lernen kann welche qualitäten man bei die unterschiedliche Belege holen kann.

    Viele Grüsse
    Nils