• Hallo Ulrich,

    wenn du erlaubst, werde ich mal anhand deines Briefes, der undatiert ist, aufzeigen, wie man das Datum eruieren kann, wenn man das nicht zum 1. Mal macht und über die Literatur verfügt, ohne die es hier gar nicht geht.

    1. Aufgabeort feststellen?

    Hier: Cincinatti, Ohio, USA.

    2. Entfernung vom Aufgabeort bis zum Ausschiffungshafen der USA feststellen?

    Hier: New York s. Stempel, gerade Linie 910 km.

    3. Datum des Ausschiffungstermins feststellen?

    Hier: 9. Dezember 18??

    4. Franko oder Porto feststellen?

    Hier: 46 US - Cents im New Yorker Stempel in schwarz = 46 US Cents Portoforderung der USA an Preußen.

    5. Wenn Porto, wofür und wie weit angesetzt?

    Hier: Postvertrag Preußen - USA vom 1.1.1854, sogenannte "Prussian Closed Mail" über England und Belgien als Transitländer bis zur Festlandsgrenze 46 Cents für einen Brief über 14,2g bis 28,4g für die USA (über 1/2 bis 1 amerikanische Unze) bzw. ab Festlandsgrenze Europas über 1 bis 2 Loth bis zum Empfänger (15,625 - 31,5g).

    6. Portoteilung erfolgte wie?

    5 US Cents mal 2 Inland = 10 Cents für die USA bis New York. Porto ab New York bis Belgien (Ostende) als Kontinentalsgrenze: 18 Cents mal 2 = 36 Cents.
    2 mal 2 Cents für Belgiens geschlossenen Transit = 4 Cents. 2 mal 5 Cents für Preußen (Postverein) ohne Entfernungslimitierung = 10 Cents. Gesamtporto 60 Cents (s. oben rechts von New York geschrieben 60 Cents).

    1 US Cent entsprach 1,5 Kreuzer rheinisch, daher 60 mal 1,5 = 90 Kreuzer = 1 Gulden 30 Kreuzer (1f 30x). Diese wurden von Aachen mittig in blauer Tinte beim Grenzeingang des amerikanischen Briefpaketes notiert. Links oben schrieb Aachen noch "2f" für "2fach", weil das Gewicht bei schwereren als einfachen Briefen oben links zu notieren war. Die Progression war linear, außer beim Gewicht!

    Württemberg erhielt hier gar nichts, durfte aber das kassierte Geld komplett an Preußen überweisen, welches Taxis mit ca. 4 Kr. für seinen inneren Vereinstransit entschädigte.

    7. Wann, wo, mit welcher Linie, mit welchem Schiff wohin befördert?

    New York stempelte am 9.12.18?? und dieses Stempel mit seinem Datum ist enorm wichtig, weil ohne ihn keine Chance besteht, irgendetwas herauszufinden.

    Ich habe alle Linien überprüft, die für diesen Vertrag in Frage kämen. Der Postvertrag war vom 1.1.1854 bis zum 16.10.1861 gültig. Da die amerikanischen Stempel vom Dezember sind, kann somit nur die Verwendungszeit 1854 bis 1860 in Frage kommen. Das klingt nach wenig, aber es befuhren viele Linien und Schiffe den Atlantik, daher ist das so einfach nicht.

    Der siegelseitige, rote Aachen Stempel, der James van der Linden in seinem tollen Werk "Marques de Passage" leider nicht aufgeführt hat, kommt nach meiner Beobachtung nur in den Jahren 1854 bis 1856 vor, danach wird er ausgemustert, weil er im Außenkreis defekt ist. Dennoch könnte es spätere Stempeldaten geben, daher war der ganze Bereich von 1854 bis 1860 zu überprüfen.

    Am 9.12.1854 fuhr die "Baltic" der Collins - Line von New York Richtung Liverpool, wo sie am 21.12.1854 ankam. Von Liverpool aus wäre der Brief mit dem Zug nach London, dann in den Süden über den Kanal transferiert worden, über Ostende bis Aachen mit der belgischen Bahnpost. Der Eingangsstempel von Aachen datiert vom 27.12., so dass ein 6 Tage Transit von Liverpool bis Aachen, gerade bei widrigen Witterungsverhältnissen, die man damals sicher unterstellen darf, als regulär anzunehmen ist.

    Hier passte also alles: Aufgabe, Hafenstempel, Linie, Schiff, Ankunft in Liverpool, zeitliche und witterungsbedingte Leitung über die Nordsee bis Aachen, Farbe und Existenz des Aachener Grenzeingangsstempels (das war kein Ortsstempel!) und so war es auch gewesen.

    8. Alternativen?

    Ja, es gibt eine! am 9.12.1857 lief die "Africa" der Cunard Line von New York Richtung Liverpool aus, kam dort am 14.12.1857 auch an (man hatte extrem gutes Wetter, was die Windstärke anging, denn man brauchte nicht 12 Tage, wie 1854, sondern nur 5 Tage, was eine Spitzenzeit darstellte und schneller kenne ich keine Leitung mit damaligen Dampfschiffen von West nach Ost überhaupt).

    Aber: Wenn das Schiff mit den amerikanisch - preußischen Briefpaketen schon am 14.12.1857 in Liverpool war, hätte es niemals bis zum 27.12.1857 gedauert, dies nach Aachen zu befördern, weil man dafür in der Regel 3 - 6 Tage, aber nicht 13 Tage gebraucht hätte.

    Auch wäre der rote Grenzeingangsstempel von Aachen kaum mehr auf dem Brief gewesen und in vorhandener Qualität schon gar nicht, so dass wir 1857 ausschließen können.

    Die anderen Jahre kommen als Transportdatum nicht in Betracht, weil es an keinem 9.12. 18?? von New York ein Schiff gab, dass nach GB fuhr.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Guten Abend!

    bayern klassisch, er sieht mich geplättet!
    Vielen herzlichen Dank für die Interpretation dieses Beleges.
    Nun da ich weiß das er zweite Gewichtsstufe war darf er auch aussehen wie er aussieht!
    1 Gulden 30 Kreuzer da musste der Empfänger bestimmt vorher noch kurz zur Bank!

    Nochmals Danke und einen schönen Abend

    Ulrich

    Grüße aus Bempflingen
    Ulrich

    Das Leben ist zu kurz um sich darüber zu ärgern, was andere über dich denken oder sagen

    also hab Spaß und gib ihnen etwas worüber Sie reden können

    scheinbar ist ihnen ihr eigenes Leben zu langweilig

  • Lieber Ulrich,

    gerne! ;)

    Man muss sich immer mal die Relationen ansehen, die zwischen Gehalt und Porti existierten.

    Ein einfacher Postler ging in Süddeutschland mit 300 - 450 Gulden pro Jahr nach Hause (verheiratet, Anzahl der Kinder = X). Das heißt, er hätte sich zwischen 200 und 300 Briefen leisten können, wenn er sonst von Luft und Liebe gelebt hätte (war auch damals nicht möglich, obwohl die Leute schlanker waren).

    Damals lagen ca. 5% der Transatlantikbriefe in der 2. Gewichtsstufe, also einer von 20. Schwerere Gewichte gab es, wurden jedoch, weil unter 1% aller Briefe, statistisch nicht einzeln erfasst.

    Wenn du also mal einen in der 3. oder gar 4. Gewichtsstufe findest, weißt du, was du hast.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • bayern klassisch - und jetzt könnte man noch hochrechnen wie viele dieser schwereren Briefe in einen Ort wie Altenrieth gelaufen sind!
    Der Empfänger war lt. Wikipedia bis 1845 Schultes in Altenrieth, die Einwohnerzahl wurde für 1861 mit 404 angegeben.
    Da es sich um einen vorgedruckten Brief handelt gehe ich einmal davon aus dass bestimmt jemand auch Informationen zum Absender hat.

    Danke für eure Unterstützung

    Ulrich

    Grüße aus Bempflingen
    Ulrich

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  • Hallo bayern klassisch,

    da kommt noch eine kleine Meldung aus dem Hintergrund, welche eher für Variante 2 spricht:

    Zitat: ..... da auf dem New York-Stempel Br.Packet steht und damit der Brief mit der britischen Cunard-Linie gelaufen ist, wäre er mit der Collins-Linie gelaufen, würde Am.Packet draufstehen, da die Collins-Linie amerikanisch war.

    Thema bleibt spannend, und ein gutes Beispiel für meinen nächsten Vortrag Heimatsammlung!

    Grüße aus Bempflingen
    Ulrich

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  • Hallo Ulrich,

    das eine hat mit dem anderen nichts zu tun - hier ging es allein um Postpakete, nicht um Linien, die völlig unabhängig davon waren. Es ist Variante 1, sicher.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Dann werden wir den kleinen Heimatbeleg mal so beschreiben!
    Gruß und schöne Woche
    Ulrich

    Grüße aus Bempflingen
    Ulrich

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    scheinbar ist ihnen ihr eigenes Leben zu langweilig

  • Hallo Ulrich,

    kein Witz - über den allein könnte man schon einen 20 minütigen Vortrag halten, wenn man noch den Postvertrag, ein paar Karten und Social Philately von Absender und Empfänger mit einbaut. Erbaulich wäre das für alle Beteiligten ... :P

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo Ralph,

    mach dir da mal keine Sorgen! Alleine bis die dein erstes Posting verstanden haben sind die 20 Minuten um! ;)
    Vorausgesetzt natürlich du gibst es für die Allgemeinheit, unter Namesnennung, frei!

    Gruß
    Ulrich

    Grüße aus Bempflingen
    Ulrich

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  • Hallo Ulrich,

    nichts täte ich lieber als das. :)

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo bk,

    eine vorzügliche Darstellung des Procedere ! An dem Beleg erfreut das Auge ferner der auf amerikanischem Kuvert bereits aufgedruckte Leitweg Per Prussian Closed Mail via London & Ostende. Was mich doch ein bischen verwundert ist, dass Aachen mit rot (wie Franco) auf der Rückseite stempelte, was sich aber so wohl irgendwie standartisiert hat.


    + Gruß

    vom Pälzer

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Hallo Pälzer,

    vielen Dank! :)

    Aachen hat rot für franko und porto gestempelt - war eben nicht USA, Taxis oder Österreich, wo man die Farben deutlich zu unterscheiden hatte. Ich glaube auch, dass Preußen das Aufkommen, hier vor allem den Transit, unterschätzt hat und allein daher schon eine eindeutige Trennung in keiner Weise machbar war.

    Letzten Endes hilft nur die nüchterne Betrachtung und Analyse jeden Briefes (es sollte ja auch das Porto blau und das Franko in rot notiert werden, wofür es ja auch zuhauf Gegenbeweise gibt).

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo bk,

    doch doch, das ist schon eine sehr exquisite Darlegung von Dir, vor allem eine Art Checkliste, nach der jetzt jeder erst einmal schön chronologisch vorgehen kann.

    Manchmal steht man ja einfach nur wie der Ochs vor`m Berg und traut sich den gar nicht zu erklimmen. So geht`s mit Sicherheit einfacher.

    Auf die (Verständnis-)Frage mit dem roten "Rückseiten-Aachener" bin ich auch deswegen gekommen, da es ja auch schwarze gibt, die bei Portobelegen vorderseitig abgeschlagen wurden, vgl.:


    45Kr Pfalz-USA = post11

    + Gruß !

    vom Pälzer

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    Einmal editiert, zuletzt von Pälzer (9. Dezember 2013 um 15:31)

  • Hallo Pälzer,

    so war es ja auch richtig, aber bei dem Brief #11 war es ein Verrechnungsstempel, da musste man schon eher aufpassen, ob man rot stempelte, oder schwarz.

    Bei dem Aachen - Stempel von @Minimarkes Brief haben wir KEINEN Verrechnungsstempel vor uns, von daher war es für die Abgabepost im Postverein egal, ob man zuvor rot oder schwarz gestempelt hatte - in dem Fall war nur wichtig, dass die Taxe in blau notiert worden ist.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo nochmal,

    da es sich um einen vorgedruckten Brief handelt möchte ich nochmals die Frage nach dem Absender stellen.

    Schönen Abend noch
    Ulrich

    Grüße aus Bempflingen
    Ulrich

    Das Leben ist zu kurz um sich darüber zu ärgern, was andere über dich denken oder sagen

    also hab Spaß und gib ihnen etwas worüber Sie reden können

    scheinbar ist ihnen ihr eigenes Leben zu langweilig

  • @pfälzer, vielen Dank, manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht.

    Grüße aus Bempflingen
    Ulrich

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  • Hallo zusammen,

    nach dem Brief mit der prussian closed mail von minimarke, heute ein Brief mit der Bremen mail, einer weiteren Möglichkeit wie die Briefe über den Atlantik kommen konnten. Die Bremen mail wurde 1847 zwischen der Stadt Bremen und den USA geschlossen, als Konkurrenz zur British open mail über England.

    Ab Juli 1851 wurden die Gebühren nochmals reduziert, das Porto für USA und die Schiffslinie wurde mit 20cent angesetzt, das entsprach 33 Kreuzer und dann kam noch das DÖPV-Porto von 9 Kreuzern dazu, insg. also 42 Kreuzer.

    Hier habe ich einen Brief von Detroit nach Stuttgart Degerloch aus dem Januar 1852. In New York wurde er am 31.1.1852 gestempelt und ging mit der "Washington" der Ocean-Linie nach Bremen, Ankunft 16.02.1852.

    Das besondere daran ist, das es ein Teilfrankobrief war, bezahlt bis Bremen mit 20cent, siehe die Stempel "Paid part" und paid "20"cent. Dies war nur noch bis August 1853 möglich, anschliessend gab es nur noch Franko-oder Portobriefe.

    Der Empfänger in Degerloch hatte noch 9 Kreuzer zu bezahlen, wie vorderseitig vermerkt.

    Viele Grüsse
    Christian

  • Hallo Leitwege,

    kein häufiger Brief! Bremen - Hamm - Düsseldorf - Köln - Bonn mit der pr. Bahnpost, dann per Kutsche über Koblenz und Frankfurt am Main nach Heilbronn bis zum Zielort.

    Falls du sie Seite noch nicht kennst:

    http://www.ieg-maps.uni-mainz.de/map5.htm

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.