Besonderheit der Inflationszeit

  • Hallo,
    Die staatliche Salzwerksbetriebskasse in Bleicherode informierte am 5.11.1923 die schwarzburgische Landesbank in Sondershausen über eine Überweisung.
    An diesem Tage war das Porto angehoben worden, die vorherige Portoperiode dauerte gerade mal 4 Tage. Am 5.11. waren für eine Fernpostkarte 500 Millionen Mark nötig ( am 31.10.23 4 Millionen Mark; am 4.11.23 40 Millionen Mark), aber man hatte noch Marken vorrätig. So verklebte man 62 Stück a 5 Millionen und 19 Stück a 10 Millionen Mark.
    Solche Frankaturen auf Karten sind sind seltener als auf Briefen. Mit dem üppig verklebten Tesaband muß man leider bei solchen Belegen rechnen. Das die 10 Millionenmarken die seltene Trennungsart " Durchstochen anstatt gezähnt " aufweisen kann man erwähnen, ist aber für diesen besondern Beleg ohne Belang.
    Beste Grüße Bernd

  • Hallo Nils,
    der Platz war bei Karten und Paketkarten sehr begrenzt, bei größeren Briefen war das Verkleben von vielen Marken natürlich leichter.
    Anbei Fernbrief bis 100 gramm vom 20.11.1923( Das Porto wurde am 20.11. verdoppelt). Es waren 28 Milliarden Mark erforderlich. Alle Marken haben die Lochung"AEG". In so einer großen Firma gab es wohl in der Poststelle Leute, die genügend Zeit hatten, die Marken ordentlich zu verkleben.
    100 Marken a 100 Millionen
    30 Marken a 200 Millionen
    24 Marken a 500 Millionen

    Beste Grüße Bernd

  • Hallo Bernd,

    bei der Frankatur geht auch einem Altdeutschen das Herz auf! :P

    Danke fürs zeigen und liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo bayern klassisch,
    es freut mich das auch solch "späte" Belege dir gefallen.
    Da ich gerade mehrere Berichte zu der uns drohenden Inflation gelesen habe, habe ich in meinen Kartons folgenden Beleg herausgesucht.
    Wertbrief vom 28.11.1923 mit vielleicht dieser Geschichte.
    Das Feinkostgeschäft Bierwirth aus Heilbronn erhielt Mitte November eine Lieferung der Allgäuer Käsefabriken Wangen mit einer Rechnung von 10 Milliarden Mark.
    Bierwirth wartete ( kluge Entscheidung in der Inflation) mit der Bezahlung und sendete den 10 Milliarden Markschein ( Briefgewicht 5 1/2 gramm) am 28.11. nach Wangen.
    Ab dem 21.11. stand der Kurs Goldfranken zur Mark auf 1: 1 Billion. Für die 10 Milliarden gab es kein Brötchen mehr. Dummerweise kostete der Brief am 28.11. aber 160 Milliarden 200 Millionen Mark an Porto. Fernbrief bis 20 gr= 80 Milliarden; Einschreibegebühr = 80 Milliarden; Versicherungsgebühr 20 Millionen pro 1 Milliarde =200 Millionen Mark. Der Brief stammt aus der Vierfachzeit, hätte Bierwirth alte Marken gehabt, hätte er nur 40 Milliarden und 5 Millionen Mark in Marken verkleben müssen. Hatte er wohl nicht. Jetzt hatte der Postbeamte ein Problem. Die Versicherungsgebühr wurde ab dem 5.11.1923 von den Portoerhöhungen ausgenommen, die Mindestgebühr verblieb bei 100 Millionen Mark . So kam die sehr geringe Versicherungsgebühr zustande. 20 Millarden Mark Marken hatte der Beamte ohne Zweifel, aber eine 200 Millionen Mark_Marke? Wozu? Selbst eine Postkarte kostete 16 Milliarden Mark Porto. Also nahm er den Einahme-Nachweisstempel und machte eine Barfrankatur mit viel mehr Arbeit aus dem Brief.
    Beste Grüße Bernd

  • Hallo Bernd,

    einen 5,5g "schweren" Wertbrief habe ich in der Klassik noch nie gesehen. Chapeau!

    Wenn man die Semi-Klassik so erklärt bekommt, macht sie auch viel Spaß. :P

    Bitte weiter machen und mit diesem Wunsch bin ich sicher nicht allein.

    Liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph

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  • Hallo bk,
    leider eignen sich nur wenige Belege für solche " Geschichten und Erläuterungen"

    Bei dem großen Einschreiben-Brief nach Cottbus hat der Absender für mich alles richtig gemacht. Er beließ die Oberränder an den 200 Millionen Mark- Marken, verklebte eine 20 Milliarden Marke mit Durchstich und sogar ein Teil der Reklame-Leiste an der 2 Milliarden ist vorhanden. Fein gemacht!
    Obwohl der andere Brief wirklich nicht ansehnlich ist, ist er dennoch viel höher einzuschätzen. Gustav Kobold sortierte 1938 in seinem Buch " Inflationsbriefe" solche Belege wie folgt:
    Bis 20 Marken auf dem Brief: In der Inflationszeit volkommen normal
    21-49 Marken: Vielfachfrankatur
    ab 50 Marken: Massenfrankatur
    Schon Vielfachfrankaturen sind vor dem 1.10.1922 sehr schwer zu finden, von Massenfrankaturen gar nicht zu reden.
    Die Portoerhöhungen lagen vor dem 1.10.1922 noch zu weit auseinander, als das die Marken nicht " normal" verwendet werden konnten.
    Beste Grüße Bernd

  • Hallo Bernd,

    danke für 1) die fachliche Aufklärung nebst Definition und 2) die zeittypischen Belege, denen auch ein gewisser Reiz nicht fehlt.

    Gerade gedacht - Briefe sehen in ihren Einzelteilen (Marken, Papier, Stempel, Schrift usw.) halt immer so aus, wie die Zeit, aus der sie stammen. Das zieht sich durch alles - Politik, Kunst, Handel und Wandel etc..

    Wer historisch interessiert ist, findet auch oder gerade in der Philatelie ein Betätigungsfeld, das jede historische Phase der letzten Jahrhunderte abzubilden versteht; ein Aspekt, der oft übersehen wird.

    Liebe Grüsse von bayern klassisch

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


    • Offizieller Beitrag

    Hallo Bernd,

    vielen Dank für das Zeigen der interessanten Belege und die fachkundigen Erläuterungen dazu. :)

    Dennoch findet man auch vor dem besagten Datum auch mal was :

    Ein Brief vom 20.1.1922 von Schafstedt in Dithmarschen an die Umsatzsteuerstelle des Finanzamtes zu Meldorf.
    Fernbriefe - auch wenn es hier nur 15 km sind - kosteten seit dem 1.1.1922 200 Pfennige. Hier durch das Verkleben von vierzig 5 Pfg.-Marken bewerkstelligt.
    Vermutlich eine der letzten Verwendungsmöglichkeiten für diese Wertstufe. Eine Postkarte kostete schon 50 Pfennig, da bliebe nicht mehr viel Platz für Text.

    Sparsamkeit war schon angesagt: Der Brief war ursprünglich vom Finanzamt versandt worden. Oben rechts auf der jetzigen Rückseite lugt noch eine Ecke einer Dienstmarke hervor. Die ganze Adressseite wurde überklebt und die vormalige Rückseite mit der neuen Adresse versehen.

    Der Postbeamte fand noch die Ruhe, alle 40 Marken einzeln abzustempeln. Später ging man hier etwas robuster vor.

    Viele Grüße
    Michael

  • Hallo Michael,
    ein seltener Brief! Die Verwendung der 5 Pf. Marke in der Form als Mehrfachfrankatur mit 40 Marken ist eine Ausnahmeerscheinung, die man mit viel Glück dennoch finden kann.
    Die kleinen Portostufen der Ziffernausgabe 1921 waren eigentlich nur für die Auffrankierung der unzählig vorhandenen Ganzsachen nützlich und wohl auch so vorgesehen.
    Bei den Ziffernmarken-Kleinstwerten der Ausgabe von 1922 ( HAN .... 22, also nach dem 1.4.1922 gedruckt) mit Wasserzeichen 2 kann man das kaum noch glauben, aber es muss so gewesen sein. Schon der Michelwert zeigt ( zeitgerecht gestempelt ca. 100 mal so hoch wie postfrisch), das sie kaum noch benutzt wurden.
    Beste Grüße Bernd

  • Hallo,
    hier noch ein Beispiel eines Kleinwertes der Ziffernausgabe 1921 als Vielfachfrankatur mit 28 Marken. Eilbotenbrief aus Treptow am Tollensee
    Leider ist das Porto nicht zu erklären, die ungewöhnliche Uhrzeit von 9-10 N im Stempel verleitet zu der Möglichkeit der Annahme nach Schalterschluß, die gab es aber nur für Reco-Briefe und er wäre um 30 Pf. unterfrankiert. Die Weiterleitung in Berlin per Rohrpost konnte der Absender nicht erahnen, nicht frankieren und es wäre auch zu wenig gewesen. Nötig war normalerweise nur 60 oder 80 Pf. Porto plus 1,50 Mark Eilbotenzuschlag. Einer von vielen unerklärbaren Belegen.
    Beste Grüße Bernd

  • Ein Ortsbrief vom 30.10.1922 mit 20 Stück der 10 Pf. Germania von 1920. Hier ist der Grund der Frankatur klar, 2 Tage später waren die Germaniamarken ungültig und sie sollten auf Grund der Meldung noch verwertet werden.
    Obwohl der Absender rückseitig eine Lücke bei der Verklebung ließ, benutzte der Empfänger den eingeklebten Aufreißfaden nicht. Dafür bin ich ihm sehr dankbar, dies zu finden ist unglaublich schwierig.
    Beste Grüße Bernd

  • Hallo wuerttemberger,
    Genau so ist es, Super.
    Ich bin mir sicher, das dies die wenigsten Infla-Sammler herausgefunden hätten.
    Am 1.4.1921 wurde eingeführt, das der Empfänger einer Nachnahmesendung beim Verlangen einer Frist( 7 Tage) zur Einlösung sofort eine erneute Vorzeigegebühr an den Postbeamten zu zahlen hatte. Dieser verklebte die Marke im Postamt und entwertete sie sofort. Die erneute Vorzeigung war bis dahin kostenlos, wurde aber auf Grund der Geldentwertung in der Inflation logischerweise immer häufiger genutzt.
    Anbei Nachnahmesendung nach Jena: Frist verlangt, 1,50 Mark für erneute Vorzeigung verklebt und am Tag der ersten Vorzeigung entwertet.
    Beste Grüße Bernd

  • Hallo,
    Barfrankaturen waren in der Zeit der Inflation möglich, auf Briefen allerdings erst ab dem 28.8.1923 offiziell und praktisch aber schon ab dem 24.8.1923 ( 20 faches Porto ab dem Tag!) bei vielen Postämten. Der vorgestellte Wertbrief ist also nichts besonderes. Er stammt aus der letzten Woche der Inflation, in der am 26.11. 1923 das Porto nochmals um das vierfache erhöht wurde und gleichzeitig die Freimarken bei Freimachung den vierfachen Wert erhielten.
    Dies ist aber bei Barfrankierung unwichtig, der Dresdner Absender bezahlte 592 Milliarden Mark ( 592 000 000 000 Mark) am Schalter.
    Brief bis 100 gr. = 112 Milliarden Mark
    Einschreibung = 80 Milliarden Mark
    Versicherungsgebühr ( für 1 Milliarde Mark Wert 20 Millionen Mark) = 400 Milliarden Mark.
    Beste Grüße Bernd

  • Lieber Bernd,

    ein (für mich als Altpapiersammler) sehr interessantes Stück. Sind denn auch Briefe mit einer Barfrankatur bekannt, bei denen sich der Annahmebeamte verrechnet hatte (wäre ja zu dieser Zeit nicht weiter verwunderlich), entweder zu Gunsten des Absenders, oder zu Gunsten der Staatskasse?

    Wenn ja, kannst du so einen zeigen?

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.