Social Philately, kurz Sophy

  • Verehrte Freunde,

    der heimatkundliche Verein, dessen langjähriges Mitglied ich bin, war vergangenes Jahr so freundlich, mein Vortragsthema "Geschichte zeigt Zähne" zu akzeptieren, obwohl der Vorstand keinen blassen Schimmer hatte, was auf ihn zukam.

    Vor ein paar Tagen habe ich nun den Vortrag "Geschichte zeigt Zähne" gehalten. Wenn man so will, ein Versuch in Richtung "Social Philately".
    Den 17 Besuchern hat es sehr gut gefallen, die wenigen Philatelisten im Publikum waren auch sehr angetan.
    Niemand musste nach gut eineinhalb Stunden geweckt werden.

    Ausgangspunkt einer PowerPoint-Präsentation mit begleitendem Vortragstext war nach Möglichkeit immer ein postalischer Beleg, wahlweise ergänzt um
    - Briefinhalt,
    - weitere Abbildungen (Porträts, Fotos von Häusern, Zeitungsanzeigen, postalische Verlautbarungen etc.),
    - Landkarten.

    Der Beleg konnte ein vollständiger Brief sein, eine Briefhülle, ein Postschein oder die Bildseite einer Ansichtskarte.
    Dazu dann Informationen über Postgeschichte, allgemeine Geschichte, Biographisches oder Anekdotisches.

    Der Ablauf war chronologisch. Dabei habe ich in der ersten Hälfte (1800-1920) vor allem die Postgeschichte unseres Landkreises, danach die Zeitgeschichte als Leitfaden genommen. Warum? Weil zuerst die institutionellen Grundlagen geschaffen wurden, danach bestehen die Strukturen bereits und man kann die gesellschaftlichen Einflüsse zeigen, die sich in den Belegen in irgendeiner Form niederschlagen.
    Diese leise Verschiebung der Schwerpunkte ist übrigens niemandem aufgefallen.

    Und da wäre ich bei dem Punkt, der mir "Social Philately" als eigenes Gebiet ein wenig suspekt macht, und der auch von einigen der Vorschreiber angesprochen wurde: Im Grunde versucht man auf mehreren Stühlen zu sitzen und läuft Gefahr, auch einmal gesäßlings dazwischen zu landen, oder, wie bei der Reise nach Jerusalem, stuhllos stehen zu bleiben.

    „Philatelie“ ist schon ein Hilfsbegriff (sind wir nicht Freunde dessen, was frei von Abgaben ist?), kombiniert mit dem Wort „Sozial“ wird daraus ein Begriff, der etwas von einem Rollstuhlfahrer hat, dem eine Krücke gegeben wird, damit er besser vorwärtskommt. Als ich einer Studienfreundin gegenüber einmal beklagte, dass Heimatforschung in akademischen Kreisen schief angesehen würde, meinte sie nur: „Dann nenne es halt micro-history“. Das Kind hat einen englischen Namen, dann wagt, wie bei des Kaisers neuen Kleidern, kaum einer zu widersprechen.

    Wie HOS schon richtig geschrieben hat, beackern viele Heimatsammler bereits dieses Feld, von Motiv- und thematischen Sammlern ganz abgesehen.
    Ich empfehle, sich in diesem Zusammenhang mit einer Sammlung auseinanderzusetzen, die ich philatelistisch und vom Aufbau her sehr gelungen finde:
    http://www.bdph.de/index.php?id=570
    Aber, wie nils sagt, irgendwie bleibt es doch immer Postgeschichte.

    Und sowenig es für Heimat-, Motiv- und thematische Sammlungen den allumfassenden gemeinsamen Nenner gibt, sowenig wird das für Social Philately als eigene Disziplin gelingen. Der individuelle Faktor wird immer vorherrschen. Jede Sammlung ist nur so stark, wie das darin befindliche Material und der Sammler, der dahintersteht.

    Sosehr ich als studierter Historiker gerne öfter mit der Sophie flirten würde, sosehr habe ich doch Zweifel, ob man wirklich etwas Neues schaffen muss (abgesehen davon, dass ich glücklich verheiratet bin und daher beim Flirten nicht so beweglich bin).

    Chancen für Social Philately sehe ich eigentlich nur in der Außenwirkung, wie bei dem angesprochenen Vortragsabend, der für mich ein Experiment war, aber auch nur machbar, weil ich erst absolvierter Geschichtsstudent, dann Heimatforscher und dann Sammler war. Aber ob ich deswegen einen der Anwesenden zum Sammeln bekehrt habe?

     Ich werde auch weiterhin Belege gezielt kaufen, weil sie eine Geschichte haben. Aber das ist zuerst ein egoistischer Akt. Ich werde auch weiterhin versuchen, über diesen Hebel zu einer Popularisierung unseres Hobbys beizutragen. Ansonsten würde ich es im philatelistischen Bereich eher dabei belassen, einmal einen schönen Beitrag für einen Rundbrief zu verfassen. Bis auf Weiteres bleibe ich das, was ich seit zehn Jahren bin: vor allem Heimatsammler. Am Ende hoffe ich, irgendwann ein Buch herauszubringen, das viele Aspekte - auch gesellschaftliche - berücksichtigen wird. Aber es wird doch Postgeschichte sein ...

    Von diesem persönlichen Fazit sollte sich aber niemand abschrecken lassen - es kommt immer auf den einzelnen Sammler an. Wie man seine Sammlung anlegt, bleibt gottlob jedem selbst überlassen.

    Viele Grüße aus Erding!

    Viele Grüße aus Erding!

    Achter Kontich wonen er ook mensen!

  • Lieber HOS,

    Variante 3 würde ich nur in einem Vortrag oder in einem Buch interessant finden.


    Damit mein soeben abgesetzter Sermon nicht so trocken daher kommt, reiche ich nach dem Beispiel von HOS noch eine Folie aus meinem Vortrag zur gefälligen Diskussion nach:

    Wenn man, wie wir eben gesehen haben, eine Postsendung
    eingeschrieben versenden wollte, musste man beim Expeditor
    die Summe von vier Kreuzern zusätzlich erlegen, die diesem
    persönlich als sogenanntes Emolument für seine Mühewaltung
    zustanden. Dafür erhielt der Aufgeber einen Postschein als
    Beleg, wie wir ihn hier sehen.
    Auf diesem Postschein ist eine Paketsendung mit Bargeld von
    Moosburg nach München dokumentiert, mit einem Gewicht von
    19 Pfund und einem kleinen Vermögen als Inhalt: 829 Gulden
    und 16 Kreuzer. Warum verschickte man um Himmels willen
    soviel Geld – offensichtlich auch noch in klingender Münze –
    mit der Post? Ganz einfach: Banken und bargeldloser
    Zahlungsverkehr bestanden auf dem Land nicht. Es gab zwar
    Bankagenten (meist Kaufleute), aber die vermittelten
    überwiegend Versicherungsgeschäfte. Um Geld von A nach B zu
    bringen, stand den Bürgern aber die Fahrpost zur Verfügung, die
    von der Briefpost getrennt war. Die Transportgebühr bemaß sich
    nach Wert der Sendung und der zurückzulegenden Entfernung.
    Mit diesem Postschein hat es übrigens eine besondere
    Bewandtnis: Er war nicht, wie man vermuten könnte, an einen
    Privatmann gerichtet, sondern an den Domvikar und
    Ordinariatssekretär Johann Georg Steinkirchner.
    Dahinter stand eine vom Domkapitel des Erzbistums München-
    Freising im August 1846 angeregte, streng vertrauliche Kollekte
    unter den Priestern der Diözese zugunsten des Knaben- bzw. des
    Priesterseminars in Freising. Damit sollte Erzbischof Lothar
    Anselm am 1. November anlässlich seines 25jährigen Amts- und
    50jährigen Priesterjubiläums überrascht werden,
    weil er sich »weltliche und äußerliche
    Feierlichkeiten verbeten« hatte. Vier Tage, bevor dieser Schein
    ausgestellt wurde, starb der Erzbischof im 86. Lebensjahr am
    1.10.1846 während einer Firmreise in Mühldorf. Die Sammlung
    wurde dennoch ein großer Erfolg, mehr als 6800 Gulden kamen
    zusammen und flossen in die neu gegründete Lothar-Anselm-
    Stiftung. Hier sehen wir den Beitrag des Landkapitels Erding,
    dessen Dekan, Pfarrer Joseph Reitmayr von Fraunberg, die
    Sendung in Moosburg auf den Weg gebracht hatte.

    Das war übrigens der ausführlichste Text meines Vortrags zu einem einzelnen Stück.

    Viele Grüße aus Erding!

    • Offizieller Beitrag

    Hallo HOS und Erdinger

    Zwei wunderschöne Beitrag :) :) :)

    Und die zwei Beispiele finde ich sehr gut. Vor ich weiter Kommentiere, muss ich daran Druck setzen, dass kein Satz, kein Beleg oder kein Darstellung allein Steht. Es steht immer in einen Zusammenhang entweder im Buch, im Forum, im Netz oder aus der Bühne.

    Der Beitrag von Erdinger finde ich sehr gut geschrieben, er kann schreiben und erzählen der Kerl. :)
    Und gern lese ich mal einen Buch von dir.

    Aber zum Beispiel: Die Postgeschichte ist klar. Den Rest könnte auch Kirchengeschichte sein, Regionalgeschichte, Landesgeschichte, Sozialgeschichte und so weiter. Es ist aber erstens Postgeschichte, wo der Ziel etwas postgeschichtliches ist, mit dazu hörenden Anekdoten. Wenn du "Social Philately" machen würdest, dann wäre das Bild vielleicht wichtiger als den Postschein. Und man würde Gewicht an die soziale Aspekten legen eher als die Postgeschichte.

    Dein Link, Erdinger, fand ich auch sehr interessant. Wie man es in Deutschland nennt weiss ich nicht, aber in Norwegen nennen wir es "Motivsammlung". Diese Sammlungen sind auch sehr streng geregelt. Auch hier sind die gezeigten Objekte den Ziel und nicht Illustrationen für eine Geschichte.

    Die drei Varianten von HOS sind aber etwas anders zu verstehen, denke ich. Variante 1 zeigt klar die Postgeschichte. Variante 2 ist auch postgeschichtlich wenn man sich etwas anders Formuliert. Sonst sehe ich es nur als zusätzlichen Information ohne es anders zu benennen. Die Variante 3 geht klar in der Richtung "Social Philately" oder auch Familiengeschichte wo der Brief selbst Statist wird.

    Besten Dank für gute Beitrage.

    Viele Grüsse
    Nils

  • ...Die von Mikrokern gefundene Definition sollte dabei die Ausgangslage sein. Schön wäre es, wenn jemand mit ausgezeichneten Englischkenntnissen eine authentische Übersetzung anfertigen könnte. Dann wären wir einen erheblichen Schritt weiter.

    Hallo HOS und alle,
    nun will ich mich nicht besonderer Englischkenntnisse rühmen, aber da ich das Zitat angeschleppt habe, sehe ich mich hier auch als Übersetzer in der Pflicht:

    Will man „Social Philately“ mit einem einzigen Satz definieren, so kann man sagen, dass Social Philately Sozialgeschichte ist, erzählt mittels Briefen und Ephemeren [i.e. unwichtiges Geschreibsel] (Pamphlete, Notizen, Rechnungen, Tickets etc). In anderen Worten, Social Philately umfasst die Sammlung von postalischen Artikeln, bestehend aus philatelistischem und nicht-philatelistischem aber verwandtem Material. Sie repräsentiert eine Studie der Entwicklung von Sozialsystemen und Produkten aus dem Arbeitsablauf postalischer Systeme. Es geht dabei um Ausstellung von Materialien und Gegenständen, die entweder die soziale Reaktion auf das Bestehen eines universellen und sich schnell entwickelnden Postsystems illustrieren, oder die Entwicklung und Diversifizierung einer sozialen Handlung bzw. Unternehmens…

    Beste Grüsse vom
    µkern

  • Lieber mikrokern,

    darf ich zwei Punkte korrigieren?
    Der Begriff Ephemera umfasst alles, was nicht länger als einen Tag Bestand hat. Aus diesem Grund werden in der Bayerischen Staatsbibliothek Zeitungen seit jeher im Bestand "Eph." zusammengefasst.
    "Pamphlets" steht für Flugschriften, kleine Schriften. Der negative Begriffsinhalt, der im Deutschen beim Wort "Pamphlet" mitschwingt, ist den meisten anderen europäischen Sprachen fremd. (Ich habe mich einmal ausgiebig mit dem Thema befasst, deshalb diese kleine Rechthaberei meinerseits!)

    Viele Grüße aus Erding!

    Viele Grüße aus Erding!

    Achter Kontich wonen er ook mensen!

  • Wenn ich den Begriff "Social Philately" richtig interpretiere, so geht es auch darum, Belege nicht nur nach Beförderungsvermerken, Stempeln und Freimarken in die postgeschichtlichen und historischen Zusammenhänge einzuordnen, sondern sich auch mit dem Empfänger (eventuell dem Absender) genauer zu beschäftigen.

    Anbei eines meiner Beispiele hierfür:

    An sich ist an diesem Brief nichts besonderes. Ein Brief in der 1.Gewichtsstufe und der 2.Entfernungsstufe von Elberfeld (Preußen) nach Wiesbaden (Hessen-Nassau (TuT)), wie es viele andere gibt.

    Der Empfänger war ein gewisser Adolph Brüning. Kaum jemand kennt diesen Namen heute noch. Es sei denn ... er würde in Hoechst oder Umgebung wohnen. Adolph Brüning war als Chemiker nämlich einer der Firmengründer der Hoechster Farbenfabrik. In seiner wissenschaftlichen Laufbahn hat er unter anderem das Aldehydgrün (einen der ersten lichtechten grünen Farbstoffe) synthetisiert.

    Adolph Brüning hat sein Abitur in Elberfeld abgelegt. Anschließend hat er dann bei Fresenius in dessen Laboratorium in Wiesbaden Chemie studiert. Aus dieser Zeit stammt dieser Brief.

    • Offizieller Beitrag

    sondern sich auch mit dem Empfänger (eventuell dem Absender) genauer zu beschäftigen.

    Hallo Preussensammler

    Zuerst; zwei wunderschöne Belege :) :)

    Aber, zum Zitat. Ja, hier ist die grosse Missverständnis. Die Briefe sind interessant, aber mit den ursprünglichen "Social Philatelie" hat es nichts zu tun. Ein Brief wird nicht mehr "social" ob ein Absender/Empfänger berühmt ist, als einen Brief von/nach einen Irgendjemand. Oder ob man sich mit dieser genauer beschäftigen.
    Wie auch oben erwähnt ist bei "Social Philatelie" die Belege nur ein Instrument um etwas geschichtliches zu sagen, als ein Ziel in sich. Ein Brief wird dann zweit oder drittrangig.

    "sondern sich auch" im Zitat oben wird deswegen falsch. Man muss ein Beleg eben eher in ein sozialgeschichtlichen Kontext hineinsetzen.

    Falls der Bismarck Brief ein Beispiel sein kann, dann ist den Innhalt und Bemerkung wichtig um etwas über den Wiesenbau zu sagen was also dann auch gesucht war. Den Rest ist aber nicht wichtig.


    Ich muss auch dazu sagen dass Begriffe ein Tendenz hat, sich inhaltlich zu ändern wenn es sich von Land zu Land oder von Sammler zu Sammler bewegt. Dan kommt aber auch die Frage wie man den ursprünglichen Begriff nennen soll.


    Hoffentlich habe ich es begreiflich geschrieben :)

    Viele Grüsse
    Nils

  • Hallo Nils,

    und sorry zugleich: Ich sehe da kein Mißverständnis bei preussensammler. Wenn ich mich mit einem Brief im sozial-geschichtlichen Kontext beschäftige bzw. beschäftigen möchte, dann ist es für mich prima vista selbstverständlich, dass ich u.a. Absender / Empfänger näher betrachte.

    preussensammler hat auch nicht gesagt, dass einer von beiden berühmt sein muss, er hat lediglich einen Brief mit einem bemerkenswerten Absender gefunden.

    Und den darf man neben seiner allgemein bekannten Rolle als ersten Reichskanzler (1871-1890) gut und gerne auch einmal ins seiner sehr deutlich weniger bekannten Rolle als erfolgreichen Landwirt und Gutsbesitzer des hinterpommerschen Guts Kniephof im Kreis Naugard kennen lernen, dort wo der gezeigte Brief seinen Aufgabestempel erhalten hat.


    Schönen Gruß ;)

    vom Pälzer

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Pälzer

    Zuerst, der Bismarck Brief ist nicht von der Kanzler geschrieben, sondern von deren Bruder Bernhard.

    Sonst, ein Beleg in sich darf selten als Sozialphilatelie gerechnet werden, kann aber durchaus ein Teil von Sozialphilatelie sein. Es kann sein dass ich es hier zu streng beurteile. Denke aber dass ich so richtig liege. Sich mit dem Briefinhalt und "deren Umgebung" hat in sich nichts mit Sozialphilatelie zu tun, wird aber ein geschichtlicher oder gar sozialer Beschreibung vom Inhalt.

    Die Unterscheidung liegt hier: Sozialphilatelie ist "Beschreibung mit philatelistischen Anhang um etwas anderes als was philatelistisches zu beschreiben". Ein Brief mit postgeschichtlichen und inhaltlichen Beschreibung ist nur eine Erweiterung der Beschreibung von Briefe, welche ich als sehr interessant finde. Die Unterscheide zeigt sich auch durch was der Ziel ist und auf dies andere Seite was den Mittel ist.
    Diese Unterschiede folgen dann die ursprünglichen Begriffsbeschreibung.

    Also zurück zum Bismarck Brief. Wenn ich ein sozialphilatelistisches Artikel schreiben würde, konnte dieser Brief ein Beleg sein falls zB eine Beschreibung von die Agrarprobleme in 19. Jahrhundert sein. Dann ist auch der Beleg ein Mittel für den Ziel dieser Beschreibung.

    Viele Grüsse
    Nils

  • Hallo Nils,

    ich glaube Du urteilst wirklich zu streng. Ok, lass es eben den guten Bernhard von Bismarck gewesen sein: Der hat immerhin gemeinsam mit Otto von Bismarck das Gut Kniephof verwaltet. Auch das ist bemerkenswert und deutet die landwirtschaftlich-unternehmerische Nebenrolle des ersten Reichskanzlers an.

    Es bedarf deswegen auch keiner Beschreibung der Agrarprobleme des 19. Jahrhunderts, solche sind dem Inhalt des Briefes auch nicht zu entnehmen. Da schlägst jetzt Du selbst den sozial-geschichtlichen Bogen viel zu weit. Mir reicht schon die Erläuterung von preussensammler.


    Schönen Gruß

    vom Pälzer

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Pälzer

    Ich glaube du verstehst mir etwas falsch.

    Es bedarf deswegen auch keiner Beschreibung der Agrarprobleme des 19. Jahrhunderts, solche sind dem Inhalt des Briefes auch nicht zu entnehmen.

    So habe ich es auch nicht gemeint. Es war nur ein Beispiel wie man einen Brief wie dieser sozialphilatelistisch benutzen konnte. Nichts anderes.


    Verstehst du was ich mit Ziel und Mittel meine? Also wenn einen Brief ein Ziel in sich ist und nicht nur ein Mittel? (Bin nicht sicher ob man es so auf Deutsch sagt, und meine Frau ist jetzt nicht zu Hase)

    ZB. eine Heimatsammlung:
    Ein Heimatsammlung kann man sozialphilatelistisch aufbauen oder postgeschichtlich aufbauen. Unter anderen. Die grosse unterschied liegt darin wie man die Belege benutzen. Es kann auch genau die gleiche Belege sein, aber etwas unterschiedlich aufgebaut. Ein postgeschichtliche Heimatsammlung ist eine Sammlung wo die Belege ein Ziel in sich sind, und stellen so vielleicht eine postgeschichtliche Entwicklung dar. Am wichtigsten hier ist was die Belege zeigen kann.
    Ein sozialphilatelistische Heimatsammlung hat den Ziel etwas über ein Heimat zu beschreiben und benutzen philatelistische Belege um dieses "Etwas" zu beschreiben. Hier ist dieses "Etwas" wichtiger als die benutzten Belegen.

    Diese Unterschiede soll man nicht unter den Teppich schieben.
    Wie man es selbst machen will ist mir völlig egal.

    Ich denke aber dass man gern sich mit den Briefinhalt beschäftigen kann ohne dass man etwas sozialphilatelistisches damit macht.

    Viele Grüsse
    Nils

  • Hallo Nils,

    ich verstehe Deine Defintion von social-philately, Deine diesbezüglich Kritik an der Auffassung von preussensammler nicht.

    Was hat er im sozial-geschichtlichen Kontext seines Top-Belegs falsch gesehen ?

    Mit sozial bezeichnen sich wechselseitige Bezüge des menschlichen Zusammenlebens, so auch hier:

    Bernhard von Bismarck und Otto von Bismarck haben als Brüder zusammen Gutsbesitztümer in Hinterpommern landwirtschaftlich-unternehmerisch geführt.

    Geschichtlich dokumentierem sich entsprechende Schlussfolgerungen an Dokumenten, preussensammler hat mit dem vorliegenden Poststück ein solches und dessen Inhalt dahingehend vortrefflich beschrieben.

    Das ist für mich eindeutig social-philately, mehr wollte ich nicht sagen.

    + Gruß !

    vom Pälzer

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

    Einmal editiert, zuletzt von Pälzer (15. Januar 2012 um 16:02)

    • Offizieller Beitrag

    Wenn ich den Begriff "Social Philately" richtig interpretiere, so geht es auch darum, Belege nicht nur nach Beförderungsvermerken, Stempeln und Freimarken in die postgeschichtlichen und historischen Zusammenhänge einzuordnen, sondern sich auch mit dem Empfänger (eventuell dem Absender) genauer zu beschäftigen.

    Hallo Pälzer

    Es war kein Kritik an Preussensammler sondern habe ich versucht es zu verdeutlichen. Was mich nicht gelungen ist ;)

    Und den Hintergrund liegt in seinen Aussage welche ich auch zitiert habe. Mehr nicht. Also habe ich gemeint dass es nicht reicht sich mehr mit den Empfänger zu beschäftigen. Es ist aber wie man die Belege greifen und darstellen, also wie man den zusätzlichen Information benutzt.

    Mehr habe ich auch nicht zu sagen hierzu :)

    Viele Grüsse
    Nils

  • Hallo,
    ich will es mal so sagen (glaube auch, dass Nils das so meint):
    Social philately stellt nicht den Brief (und damit den philatelistischen Aspekt) in den Mittelpunkt des (Forschungs-)Themas, sondern sieht die Philatelie als eines der vielen Mittel, das Thema zu erforschen und beschreiben.
    Die Definition aus post 324 sagt "Will man „Social Philately“ mit einem einzigen Satz definieren, so kann man sagen, dass Social Philately Sozialgeschichte ist, erzählt mittels Briefen und Ephemeren (Notizen, Rechnungen, Tickets etc)..."
    Folgt man dieser Definition, so stellt ein Brief von oder an eine Berühmtheit keine "social philately" dar, da der sozialhistorische Kontext fehlt oder nicht den Fokus darstellt. Nils hat das richtig formuliert: der Brief ist hier der Zweck und nicht "nur" ein Mittel (unter anderen), welches er bei social philately sein sollte.
    Ein Beispiel aus meinem Lieblingsgebiet:
    Die Erforschung und Dokumentation des Mainfeldzugs 1866 im Rahmen des Deutschen Krieges kann erfolgen unter Einbezug von u.a. Büchern, Urkunden, Augenzeugenberichten, Waffen, Münzen/Medaillen, Gemälden, Landkarten, Kirchenregistern, Briefen etc. Ein einzelner Feldpostbrief aus 1866 stellt per se noch keine "social philately" dar, erst im Kontext mit vielfältiger anderer Dokumentation kann man von "social philately" sprechen.
    Der Begriff "social philately" ist vielleicht auch etwas unglücklich, da er mit "philately" direkt die Philatelie als Themenschwerpunkt suggeriert. Vielleicht wäre stattdessen "social history" besser gewesen, dann wäre klarer, dass die Philatelie nur einen (u.U. kleinen) Teilaspekt beiträgt.

    Beste Grüsse vom
    µkern

  • Tut mir Leid liebe Sammlerfreunde,

    das obenstehende kann ich so nicht stehen lassen.

    Aber, zum Zitat. Ja, hier ist die grosse Missverständnis. Die Briefe sind interessant, aber mit den ursprünglichen "Social Philatelie" hat es nichts zu tun. Ein Brief wird nicht mehr "social" ob ein Absender/Empfänger berühmt ist, als einen Brief von/nach einen Irgendjemand. Oder ob man sich mit dieser genauer beschäftigen.


    Wenn das keine Kritik gewesen sein soll, dann weiss ich nicht was Kritik ist. Und nochmal mikrokern:

    preussensammler hat auch nicht gesagt, dass einer von beiden berühmt sein muss, er hat lediglich einen Brief mit einem bemerkenswerten Absender gefunden...


    ...und den in einen sozial-geschichtlichen Kontext gestellt. Dass er nicht bspw. noch in die agrarwirtschaftlichen Probleme des 19. Jahrunderts abgeglitten ist, ist seine Grenze, die er bei dem gezeigten Beleg sophy-mäßig gezogen hat und das finde ich auch gut so. Es reicht (vorliegend sehr wohl) sich dahingehend mit dem Absender/Empfänger zu beschäftigen.

    Schönen Gruß

    vom Pälzer

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • Hallo liebe Runde,

    Im Australien (FIP Ausstellung) waren wirklich schöne und sehr interresanten "Sophy-Sammlungen", wie z.B:

    - Jussi Tuori: Winning the Independence

    - Valentin Levandovskiy: Development of Advertisement on Russan Mailings (92 Punkt)

    - Richard Bodin: Swedish Militaries and Volunteers in War ... (96 Punkt)

    - Kurt Kimmel: The Postal History of the Valtelina (92 Punkt)

    - Patrick Maselis: Lado. L'histoire postal de l'enclave 1842-1910 (86 Punkt)

    - Paul Peggie: Mission Mail Central Africa (87 Punkt)

    Leider habe ich keine Sammlungen (anderen auch nicht !) aus Deutschland gefunden. Ich weiss es nicht warum.

    Über Bewertung der "Sophy-Sammlungen" unter anderen organisieren wir im Oktober in Budapest ein Juroren-Seminar. wer hat Interresse zu uns kommen, gerne sende ich die Anmelde-Formular. Program ist beiligend.

    Übrigens: Ein Mitglied von "unseren Kreis", hat in Australien eine sehr schöne Ergebnis erreicht. Herzliche Gratulation zu unseren "Ö-Transit" für die Large Gold mit 95 Punkte!

    Liebe Grüsse aus Ungarn

  • Hallo zusammen,
    so anspruchsvoll wie die zuletzt hier gezeigten Beispiele ist mein kleines Heidelberger Briefchen aus dem Jahr 1868 nicht.
    Aber es passt insofern hier her, weil es einen Eindruck über die „hierarchischen Strukturen“ in der Universitätsstadt Heidelberg im 19. Jahrhundert vermittelt.
    Und ich meine nicht nur, dass auch die Gattinnen der Professoren mit „Frau Professor“ anzusprechen waren (ist das in Österreich heute auch noch so?).

    Da wartet ein kleiner Handwerker monatelang auf sein Geld und bettelt dann in seiner Verzweiflung die Frau seines Auftraggebers an und appelliert an ihr gutes Herz ...

    Hier ist der Text: (Gleichzeitig bitte ich, ihn Korrektur zu lesen – ich übe noch das Handschrift-Lesen ...)

    Geehrte Frau Professor!
    Schon vor längerer Zeit habe ich dem Herrn Professor die Rechnung über die vor einem Jahre gefertigte Schieferdeckerarbeit zugesandt, auch schon einigemale geschrieben und um die Zahlung gebeten.
    Es ist bekannt, daß unser Geschäft im Winter stille steht und daß im Frühjahr wir ebenfalls keine Beschäftigung haben, weil die uns auszuführenden Gebäude bis zum Dache erst vollendet sein müssen und deshalb die Reparaturen in dieser Zeit vornehmen. Die Lebensmittel sind wirklich sehr teuer, ich habe Familie, weswegen es mir recht kommen würde, wenn ich im Besitze dieses bei Ihnen noch ausstehenden Postens sein würde. – Wollten Sie vorerst eine Besichtigung der von mir gefertigten Arbeit vornehmen lassen wollen, so bitte ich ergebenst, diese bald vornehmen lassen, damit der Ausgleichung meines Guthabens nichts mehr im Wege steht.
    Ich habe diese Schreiben an Sie geehrte Frau Professor gerichtet, weil ich glaube, da8 Sie die geschilderten Verhältnisse würdigen und meine ergebenste Bitte um so eher gewähren werden.

    Hochachtungsvoll zeichnet ergebenst
    Ludwig Ahrle, Schieferdecker

    Heidelberg, den 20. Januar 1868

  • Liebe Sammlerfreunde,

    folgenden Brief möchte ich zeigen:Brief vom Pfarrer Anton German von Mitterteich bei Waldsassen in der Oberpfalz vom 28. Januar 1835 (seit 16. Februar 1833 Pfarrer in Mitterteich; zuvor Pfarrer und Distriktschulinspektor in Sattelpeilnstein bei Cham in der Oberpfalz; Ab 28. April 1837 war er dann Pfarrer in Nabburg (Oberpfalz). Der Brief ging an Abt Franz Salesius Krügner im Kloster Osseg (Böhmen – Österreich). Das Zisterzienser Kloster Osseg (Osek) wurde vom Kloster Waldsassen 1192 gegründet. Abt Franz Salesius Krügner wurde am 26. Juli 1781 in Niklasberg geboren. Am 14. Januar 1835 wurde er Abt im Kloster Osseg. Er starb am 5. November 1842. Aus dem Inhalt geht hervor, daß er ihm zur Ernennung gratulierte, die 14 Tage vorher stattfand. Den Brief gab Pfarrer Anton German jemand mit, der ihn in Prag aufgab. Der Empfänger bezahlte daher nur 4 Kreuzer C.M. Porto und der Absender sparte sich das Franko bis zur Grenze. (Daten aus dem Buch "Manfred Knedlik Geschichte der katholischen Pfarrei Mitterteich und im Internet unter googlebooks.com).

    Beste Grüße von VorphilaBayern