Verehrte Freunde,
der heimatkundliche Verein, dessen langjähriges Mitglied ich bin, war vergangenes Jahr so freundlich, mein Vortragsthema "Geschichte zeigt Zähne" zu akzeptieren, obwohl der Vorstand keinen blassen Schimmer hatte, was auf ihn zukam.
Vor ein paar Tagen habe ich nun den Vortrag "Geschichte zeigt Zähne" gehalten. Wenn man so will, ein Versuch in Richtung "Social Philately".
Den 17 Besuchern hat es sehr gut gefallen, die wenigen Philatelisten im Publikum waren auch sehr angetan.
Niemand musste nach gut eineinhalb Stunden geweckt werden.
Ausgangspunkt einer PowerPoint-Präsentation mit begleitendem Vortragstext war nach Möglichkeit immer ein postalischer Beleg, wahlweise ergänzt um
- Briefinhalt,
- weitere Abbildungen (Porträts, Fotos von Häusern, Zeitungsanzeigen, postalische Verlautbarungen etc.),
- Landkarten.
Der Beleg konnte ein vollständiger Brief sein, eine Briefhülle, ein Postschein oder die Bildseite einer Ansichtskarte.
Dazu dann Informationen über Postgeschichte, allgemeine Geschichte, Biographisches oder Anekdotisches.
Der Ablauf war chronologisch. Dabei habe ich in der ersten Hälfte (1800-1920) vor allem die Postgeschichte unseres Landkreises, danach die Zeitgeschichte als Leitfaden genommen. Warum? Weil zuerst die institutionellen Grundlagen geschaffen wurden, danach bestehen die Strukturen bereits und man kann die gesellschaftlichen Einflüsse zeigen, die sich in den Belegen in irgendeiner Form niederschlagen.
Diese leise Verschiebung der Schwerpunkte ist übrigens niemandem aufgefallen.
Und da wäre ich bei dem Punkt, der mir "Social Philately" als eigenes Gebiet ein wenig suspekt macht, und der auch von einigen der Vorschreiber angesprochen wurde: Im Grunde versucht man auf mehreren Stühlen zu sitzen und läuft Gefahr, auch einmal gesäßlings dazwischen zu landen, oder, wie bei der Reise nach Jerusalem, stuhllos stehen zu bleiben.
„Philatelie“ ist schon ein Hilfsbegriff (sind wir nicht Freunde dessen, was frei von Abgaben ist?), kombiniert mit dem Wort „Sozial“ wird daraus ein Begriff, der etwas von einem Rollstuhlfahrer hat, dem eine Krücke gegeben wird, damit er besser vorwärtskommt. Als ich einer Studienfreundin gegenüber einmal beklagte, dass Heimatforschung in akademischen Kreisen schief angesehen würde, meinte sie nur: „Dann nenne es halt micro-history“. Das Kind hat einen englischen Namen, dann wagt, wie bei des Kaisers neuen Kleidern, kaum einer zu widersprechen.
Wie HOS schon richtig geschrieben hat, beackern viele Heimatsammler bereits dieses Feld, von Motiv- und thematischen Sammlern ganz abgesehen.
Ich empfehle, sich in diesem Zusammenhang mit einer Sammlung auseinanderzusetzen, die ich philatelistisch und vom Aufbau her sehr gelungen finde:
http://www.bdph.de/index.php?id=570
Aber, wie nils sagt, irgendwie bleibt es doch immer Postgeschichte.
Und sowenig es für Heimat-, Motiv- und thematische Sammlungen den allumfassenden gemeinsamen Nenner gibt, sowenig wird das für Social Philately als eigene Disziplin gelingen. Der individuelle Faktor wird immer vorherrschen. Jede Sammlung ist nur so stark, wie das darin befindliche Material und der Sammler, der dahintersteht.
Sosehr ich als studierter Historiker gerne öfter mit der Sophie flirten würde, sosehr habe ich doch Zweifel, ob man wirklich etwas Neues schaffen muss (abgesehen davon, dass ich glücklich verheiratet bin und daher beim Flirten nicht so beweglich bin).
Chancen für Social Philately sehe ich eigentlich nur in der Außenwirkung, wie bei dem angesprochenen Vortragsabend, der für mich ein Experiment war, aber auch nur machbar, weil ich erst absolvierter Geschichtsstudent, dann Heimatforscher und dann Sammler war. Aber ob ich deswegen einen der Anwesenden zum Sammeln bekehrt habe?
Ich werde auch weiterhin Belege gezielt kaufen, weil sie eine Geschichte haben. Aber das ist zuerst ein egoistischer Akt. Ich werde auch weiterhin versuchen, über diesen Hebel zu einer Popularisierung unseres Hobbys beizutragen. Ansonsten würde ich es im philatelistischen Bereich eher dabei belassen, einmal einen schönen Beitrag für einen Rundbrief zu verfassen. Bis auf Weiteres bleibe ich das, was ich seit zehn Jahren bin: vor allem Heimatsammler. Am Ende hoffe ich, irgendwann ein Buch herauszubringen, das viele Aspekte - auch gesellschaftliche - berücksichtigen wird. Aber es wird doch Postgeschichte sein ...
Von diesem persönlichen Fazit sollte sich aber niemand abschrecken lassen - es kommt immer auf den einzelnen Sammler an. Wie man seine Sammlung anlegt, bleibt gottlob jedem selbst überlassen.
Viele Grüße aus Erding!