- Offizieller Beitrag
Liebe Freunde,
leider ist diese sehr interessante Diskussion vor über einem jahr eingeschlafen.
Unabhängig davon, wie ein Sophy-Sammlung aussehen könnte/sollte, finde ich immer wieder Belege, deren Reiz (für mich persönlich) durch derartige Aspekte stark aufgewertet wird. Der folgende Brief ist so einer.
Ein Portobrief vom 26. Februar 1867 (unseres Kalenders) aus St. Petersburg, Russland nach Suhl in Preußen.
Rückseitig ein schöner, wenn auch unklar abgeschlagener, roter Stempel der Petersburger Stadtpost, vorderseitig ein Stempel einer Petersburger Post-Expedition (welche genau kann ich nicht ausmachen, evtl. No. 5 für die abgehende Auslandspost) und ein russischer Portostempel.
Die Leitung nach Preußen erfolgte über die Bahnstrecke Eydtkuhnen-Bromberg, rückseitig der orange K2 PORTO AUS RUSSLAND über BÜR. XI EDK.BRG.
Die Zustellung in Suhl erfolgte am 1.3. (rs. Ausgabestpl.), also eine Laufzeit von gerade mal 3 Tagen.
Der Brief gehört in die Zeit des Postvertrags von 1866, mit dem u.a. erstmalig zwischen Russland und Preußen Portobriefe teurer wurden als Frankobriefe. Dieser Portobrief kostete den Empfänger 6 Silbergroschen, die hälftig zwischen Preußen und Russland geteilt wurden. Ein Frankobrief hätte dagegen nur 4 Sgr. gekostet.
Soweit die postgeschichtliche Sicht.
Bei der Adresse fiel mir die Angabe Maschinenfabrikanten auf, eine zu dieser Zeit noch nicht allzu verbreitete Sparte. Bei der Ortsbezeichnung Suhl denkt man schnell an die unter Jägern und Schützen bekannten Flinten. Nach kurzer Suche findet sich dann auch u.a. der folgende Beitrag in einem Buch über die Geschichte der deutschen Schreibmaschinenfabrikanten zu der Firma Schilling & Krämer :
Im Jahre 1863 taten sich in Suhl zwei Männer zusammen, um eine Fabrik zu gründen: Christian Schilling, der aus einer seit Jahrhunderten in Suhl ansässigen Hammerschmiede-Familie stammt, und der Maschinenbauer Robert Krämer. An der Stelle eines alten Hammerwerkes bauten sie eine vollkommen neue Fabrikanlage auf, die aus einer Eisengießerei, einer Maschinenfabrik und einem Wohn- und Geschäftshaus bestand.
Zweck dieser Firmengründung war es, die Waffenindustrie, die in Suhl einen Schwerpunkt hatte, mit Maschinen und Werkzeugen zu beliefern, mit denen Waffen besser und schneller hergestellt werden konnten.
Die Firma entwickelte sich gut und stellte sich jeweils schnell auf neue Erfindungen und Weiterentwicklungen in der Waffentechnik ein. Durch ihre präzise arbeitenden Maschinen erwarb sich das Unternehmen "Schilling & Krämer" schnell einen guten Ruf in Deutschland und darüber hinaus. Sogar amerikanische Konstrukteure besuchten in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts zahlreiche deutsche Waffenfabriken, um die dort arbeitenden Maschinen von Schilling & Krämer zu studieren.
Das Absatzgebiet der Firma wurde immer größer, und neben Suhler Fabriken bestellten fast alle Waffenfabriken Deutschlands ihre Maschinen. Auch ins Ausland wurden viele Maschinen und Werkzeuge zur Waffenherstellung geliefert.
Neben Waffenbearbeitungsmaschinen wurden aber auch andere Werkzeug- und Spezialmaschinen verschiedenster Art und Größe hergestellt und teils an große Werke der deutschen Industrie geliefert, so. z.B. an Adam Opel, Fichtel & Sachs, Heinrich Lanz, AEG, Siemens & Schuckert, Mannesmann-Röhrenwerke, Neckarsulmer Fahrzeugwerke usw.
1902 erwarb man Patente zur Schreibmaschinen-Fertigung und entwickelte in den folgenden Jahren/Jahrzehnten u.a. das Modell "Regina", dass bis Anfang der dreißiger Jahre eine sehr bekannte und erfolgreiche Schreibmaschine in Deutschland war ("erste deutsche Schreibmaschine nach dem Underwood-Prinzip").
Während der Weltwirtschaftskrise brachen die Umsätze bei Werkzeug- und Schreibmaschinen so stark ein, dass im September 1932 die Fabrik geschlossen wurde.
So weit die Geschichte hinter dem Adressaten.
Der Brief aus dem Jahr 1867, also nur 4 Jahre nach Gründung der Firma, belegt den wirtschaftlichen und technischen Erfolg und dass nicht nur amerikanische Kunden (wie in dem Buchauszug beschrieben) sondern auch russische auf die Firma aufmerksam geworden waren.
Wie eingangs erwähnt, mit Kenntnis dieser Hintergrundgeschichte hat der Brief für mich noch mal ein ganz anderes Gesicht bekommen.
Viele Grüße
Michael