Der preußische Kontrollstempel "R" ?

  • Hallo,

    anbei ein interessanter Brief von Livorno via Nürnberg nach Riga vom 12. Juli 1805. Wegen Gelbfieber-Gefahr in Livorno wurde der Brief in Nürnberg desinfiziert (vgl. Stempel "GEREINIGT von AUSSEN NÜRNBERG").
    In Preussen erhielt er den Kontrollstempel "R" für "Russland".

    Kann mir jemand die rote "6" erklären bzw. mir sagen, wo ich hier für die Tarife nachschauen muss (die Rückseite enthält ausser Siegelresten keine weiteren Informationen)?

    Danke im Voraus,
    Björn

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Björn,

    ein interessantes Stück, das ich aber nicht erklären kann.
    Die 6 ist jedenfalls keine ausreichende Taxe nach Russland, sei es über Preußen oder über Österreich. Da müsste noch mindestens eine weitere Taxe auftauchen.
    Den Stempel R kenne ich nur deutlich später und auf Briefen, die aus Russland kamen. Daher vermute ich einen anderen Hintergrund.

    Vielleicht kann ja ein Kenner der süddeutschen Gebiete was zur Taxierung beitragen.
    Müsste Livorno nicht bei Aufgabe gestempelt haben (in dieser Zeit gab es da schon die verzeirten Rahmenstempel)? Vielleicht ist der Brief nach Bayern forwarded worden?

    Gruß
    Michael

  • Liebe Freunde,

    bar jeder Ahnung - der Nürnberger Contumazstempel kommt nur bei Transitbriefen vor, so dass der Brief sicher nicht postalisch seinen Ursprung in Bayern gehabt haben dürfte.

    Den R - Stempel für Russland kenne ich auch nur später. Warum sollte man einen R - Stempel auf einen Brief NACH Russland aufdrucken? Den bekamen doch nur Briefe AUS Russland abgeschlagen.

    Da man in Russland meiner bescheidenen Erfahrung nach keine Rötel verwendete, und auch in italienischen Staaten die Rötel mir nicht bekannt ist, muss es sich um eine Reichsposttaxe handeln - das wären dann 6 Kreuzer.

    Wenn ein Brief aus Livorno nach Bayern kam, kann er kaum über Österreich instradiert worden sein, wenn der Zielort in Russland lag, weil sonst Österreich gleich den Brief nach Russland vermittelt hätte.

    Daher halte ich eine Leitung via Preussen für wahrscheinlich(er).

    Wie dann Preussen das Briefchen mit Russland verhandelte, weiß ich aber nicht und wenn es Michael nicht weiß, dann wird es wohl recht eng hier ...

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Hallo,

    der Brief wurde in einer Antwort zu einer Anfrage (263-443-1999) im DASV-Rundbrief Nr. 444 (Dezember 1999) besprochen. Auch hier wurde schon der Stempel "R" diskutiert - auf die Taxe ist man nicht eingegangen.

    Gemäß den dortigen Ausführungen (im wesentlichen von Frau Popp) wird der Stempel preußischen Kontrolleuren zugeschrieben, die " die richtige Anwendung der Portotaxen, die sorgfältige Auswahl ... der Speditionswege, die zweckmäßig Regulierung der Kartenschlüsse ..." (Zitat aus dem Amtsblatt 22 vom April 1849) durchführen sollten.

    Bis dato waren aber nur Brief mit R-Stempel nach Rußland und erst nach 1826 bekannt. Gemäß Stepan ("Geschichte der Preußischen Post") wurden diese Kontrolluere aber schon 1803 eingesetzt.

    Fazit des damaligen Artikels (auf den ich mich in der Beschreibung oben gestützt habe):

    • Einsatz der Kontrolleure seit 1803
    • analoge Einsatztätigkeit unter Verwendung eines R-Stempels (andere Type) denkbar
    • auch ein Einsatz in entgegengesetzer Richtung (nach Russland) denkbar, da sie ja die Ordnungsmäßigkeit der Taxen, Kartenschlüsse usw. zu überprüfen hatten (was für beide Richtungen galt)


    Meine derzeitige Arbeitshypothese:

    • Leitweg: Livorno - Nürnberb - Preußen (wahrscheinlich Berlin) - Riga
    • Offizieller Beitrag

    Hallo Björn,

    die Diskussionen zu dem R-Stempel kenne ich. Leider ist seit den Ausführungen von Ilse Popp da nichts wesentliches mehr passiert.
    Ich habe längere Zeit alle auf Auktionen und bei Delcampe und ebay auftauchenden Belegen mit dem R-Stempel registriert. Im Vergleich mit deinem Brief ergibt sich:
    - mir ist, mit Ausnahme deines Beleges, kein Brief vor 1826 unter die Augen gekommen. Ab 1826 findet man bis in die 1840er Jahre über alle Jahre regelmäßig solche Briefe und auch in den 1850/60er Jahren findet man sie immer wieder (wenn auch, im Vergleich zum gestiegenen Postaufkommen, nicht mehr so häufig). Wenn dein R-Stempel dazu gehören würde, bliebe noch immer ein Zeitraum von 21 Jahren (1805-1826), in dem kein einziger Beleg mit R-Stempel aufgetaucht ist.
    - alle bisher bekannten Belege stammen aus Russland. Deiner wäre der einzige, der nach Russland läuft.

    Das bedeutet natürlich jetzt nicht, dass der R-Stempel auf deinem Brief nicht dazu gehört, aber 1-2 Fragezeichen sind meines Erachtens nach gerechtfertigt.

    Die These mit dem Kontrollstempel wurde seinerzeit aufgestellt, da man keine bessere Erklärung fand. So ist meines Wissens auch der heutige Stand der Dinge. Auch in der großartigen Russland-Preußen-Sammlung von K. Krauß steht meiner Erinnerung nach bei diesem Stempel noch immer das Wörtchen "vermutlich".
    Wenn man sich viele dieser R-Belege anschaut, fällt auf, dass neben dem R-Stempel nie ein anderer Herkunftsstempel "Aus Russland" (in den verschiedenen Ausprägungen) findet. Und dies, obwohl dies von der preußischen Post lange Zeit recht konsequent gestempelt wurde. Ein einziger mir bekannter Beleg zeigt neben dem R-Stempel einen zweiten Stempel AUS RUSSLAND FRANCO-TOUT. Hier ist allerdings der R-Stempel mit Tinte mehrfach durchgestrichen (=annulliert) worden!
    Dies würde bedeuten, dass die Kontrollbeamten mit dem R-Stempel anstelle der Beamten, die die Herkunftsbezeichnung stempelten saßen und neben der Kontrolltätigkeiten dann diese Briefe stempelten. Also müssten Taxierung / Kartierung von der Stempelung getrennt gehandhabt worden sein. Ist das plausibel?

    Daher biete ich mal eine mögliche Alternativerklärung an: Der R-Stempel war ein Ersatz-/Reservestempel in den Grenz-/Kartierungspostämtern, die zum Einsatz kamen wenn der Originalstempel nicht zur Verfügung stand oder wenn wegen hohem Postaufkommen mehrere Beamte parallel arbeiteten.

    Auch gegen diese These kann man argumentieren.
    Es bleibt das Phänomen, dass die R-Stempel (und die P-Stempel für polnische Korrespondenz) über mehr als 40 Jahre sporadisch eingesetzt wurden, nie zusammen mit anderen Herkunftsstempeln ...
    Sollten die preußischen Kontrollbeamten tatsächlich über diesen Zeitraum nach den gleichen Vorgaben ihre Kontrollen durchführen? Wo die Expeditionsvorschriften der 20er Jahre kaum noch etwas mit denen der 60er Jahre zu tun hatten? Und dies nur bei russischer Post?

    Gruß
    Michael

  • Zu dem Brief selbst kann ich leider nichts Neues beisteuern.

    Im Gespräch mit Björn kam uns die Idee, ob es sich bei dem "R"-Stempel nicht vielleicht auch um einen Ortsstempel handeln könnte. Meine Recherche im russischen Vorphila-Stempel-Katalog von Manfred A. Dobin (2002) verlief jedoch ohne brauchbares Ergebnis. Für Riga wird dort kein "R"-Stempel geführt. In der Rubrik Transitstempel taucht der "R"-Stempel nur für Post aus Russland auf. "On 12 (24) December 1821 a postal convention was agreed between Russia and Prussia according to which Russia was obliged to transfer letters for European countries (excluding Sweden, Austria, Italy and Turkey) and also to America and the territories of colonies of GB, France and Netherlands, only via the Prussian post. Correspondence from St. Petersburg and Riga went via Polangen and Memel; from Moscow and Vilno it went via Jurburg and Tilsit. In 1833 the border post office moved from Memel to Laugszargen near Tilsit. From July 1833 mail began to be dispatched to Tilsit via Taurogen. On letters of this period, along with transit postmarks with the city name, special postmarks of Berlin, Memel, Tilsit and Eydtkuhnen in form of a large Roman letter "R" appeared. This mark was applied to correspondence from Russia! Es werden vier Typen gelistet:
    – Berlin (9x10), 1833-1838
    – Memel (10x11), 1829-1835
    – Tilsit (9,5x11), 1835-1861)
    – Eydtkuhnen (10x11), 1836-1867)

    Im "Handbuch der abgekürzten vorphilatelistischen Stempel" von Deninger (1963) werden verschiedene "R"-Stempel erwähnt (die meißten leider ohne Abbildung). Das "R" gab es u.a. als Ortsstempel für Rovigo. Hat jemand vielleicht Zugriff auf einen Katalog italienischer Vorphila-Stempel um mal nach zu schauen?

    Beste Grüße,
    André

  • Hallo,

    zum Stempel "R" kann ich nichts Neues beitragen. Ich habe in Sindelfingen zwei Preußen-Spezialisten gefragt, die beide auch die Version "Kontrollstempel R(ussland)" bezweifeln.

    Bzgl. der Taxen muss ich aber große Abbitte leisten, denn mein (aus dem Gedächtnis) geschriebenes Statement, dass die Rückseite keine weiteren Informationen enthält, ist falsch. Vielmehr kann man neben den Siegeln und dem Bearbeitungsvermerk unten auch rechts oben einen Gebührenbaum sehen. Vielleicht kommen wir mit dieser wichtigen Information weiter.

    Um zu verdeutlichen, dass der Brief in Livorno geschrieben wurde, habe ich auch einen Auszug aus dem Inhalt gescannt. Wo der Brief zur Post gegeben wurde, ist weiterhin offen.

    Gruß,
    Björn

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Björn,

    mit den Taxen der Rückseite kommen wir jetzt einen Schritt weiter.
    Laut einer russischen Taxliste von 1790 kosteten Briefe nach Italien für die Auslandsstrecke Memel - Trento 68 Silberkopeken.
    Die rückseitigen 69 1/2 preußische Groschen (entsprechen Silberkopeken) Taxforderung beinhalten 1 1/2 pr. Gr. Immersatter Grenzporto, das in der Vorvertragszeit nur für die Post aus/nach den baltischen Orten anfiel.
    Für die russische Strecke fielen anscheinend 28 1/2 SKop. an, so dass der Empfänger die notierten 98 SKop. zu zahlen hatte.

    Die Idee von traumsand † bezüglich italienischer Vorphila-Stempel für die Suche nach dem "R"-Stempel sollte weiterverfolgt werden.

    Gruß
    Michael

  • Lieber Michael,

    vielen Dank für Deine Erklärungen bzgl. der Taxen. Ich hatte Karlfried Krauß in Sindelfingen auch auf diesen Brief angesprochen und er hat mit seiner Deutung Deine Erklärung "bestätigt".

    Ergänzend kann ich aus seiner email noch folgende Details wiedergeben:
    - Die 68 preußische Groschen setzen sich zusammen aus: 6 Gutegroschen (Forderung an Bayern) x 4 = 24 Pr.Gr. plus für die preußische Strecke 44 Pr.Gr. (was zu anderen Taxgrenzpunkten wie z.B. Duderstadt mit 43 Pr.Gr. passt) -> damit wäre auch die Rötel-6 auf dem Brief erklärt
    - Die Summen Memel-Riga variieren im Laufe der Jahre zwischen 25/30 Silberkopeken auf den Briefen, passt also zu 28 1/2 SKop.

    Offen bleibt noch der tatsächliche Aufgabeort (evtl. per Forwarder nach ? gebracht und dann per Transit via Nürnberg ...). Vielleicht löst sich ja eines Tages auch noch das Rätsel der mysteriösen "R"-Stempels.

    Noch einmal mein Dank an alle.


    Gruß,
    Björn