Österreich - Bayern im Postverein

  • Glückwunsch Ralph,
    ich hätte auch noch an einen anderen Laufweg gedacht: Eger, Marktredwitz und dann mit der Bahn Richtung Passau.
    Aber über Bodenbach ist nätürlich besser, da wird deutlich, so schnell wie möglich zum nächsten Ort mit Bahnanschluß war in den 1860er die Devise der Post.
    LG
    Christian

  • Hallo Christian,

    wen interessieren denn Leerzeilen, wenn ein Ö-Brief über Bodenbach nach Passau geht? :D

    Ich hatte jahrelang nach einem aus Nordböhmen Richtung Passau gesucht (um ehrlich zu sein, hatte ich die frühen 1850er Jahre eher im Sinn, als 1862!) und bin heilfroh, den hier zum Pizzapreis mit Kaltgetränk schnappen zu können. Auch die Siegelseite sieht ja nicht uneben aus ...

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Liebe Freunde,

    wir liebe ja alle diese ganz besonderen Briefe, von denen man i. d. R. ein Leben lang träumt und von denen, wenn man großes Glück hat, ab und zu einer seine Aufwartung in der eigenen Sammlung macht.

    Heute ist so einer hier eingeflogen und ich möchte ihn euch gerne vorstellen, zeigt er doch 3 Besonderheiten, wovon jede Einzelne schon einen Beitrag wert wäre.

    Der Absender, die Gebrüder Kindervater aus Wien, hatten einen einfachen Brief unter 1 Loth zu versenden an die Firma Müller & Lapp nach Kitzingen in Bayern. Doch wollten sie diesem Brief noch ein paar Anlagen spendieren in Form von Mustern ohne Wert(h), die sie ihm angehängt hatten. Das treffende Franko hatten sie sicher selbst ausgerechnet, denn Firmen wussten oft besser über die Besonderheiten von Versendungen Bescheid, als Postler, deren Fehlerquote bei allem, was nicht gerade alltäglich war, oft nur zu dramatisch anstieg.

    Weil man aber demjenigen, der den Brief zur Post tragen sollte, vlt. nicht 100%ig traute, überstempelte man die 3 benötigten 9 Kreuzer Conventionsmünze (CM) mit dem großen, blauen Firmenstempel, so dass ein Ablösen durch den Überbringen (oft der Stift des Betriebes) sinnlos gewesen wäre. Auch eine Art der Vorausentwertung ...

    Man ververmerkte auch "Kitzingen a(m) M(ain) via Leipzig"a n diesem 19.6.1858, weil man nicht den langsameren, direkten Weg nach Unterfranken präferierte, sondern den schnellen via Prag - Bodenbach - Leipzig - Hof - Nürnberg und Würzburg, wie wir siegelseitig an dem Kitzinger Ankunftsstempel vom 21.6.1858 sehen. Luftlinie waren es ab Wien 485 km, bei direkter Postversendung wohl ca. 600 km und hier knapp 1.000 km.

    Da die Postaufgabe um 17.00 Uhr erfolgte und der Brief von Würzburg aus erst reexpediert nach Kitzingen werden musste, ist die Leistung aller Beteiligter nicht hoch genug einzuschätzen.

    Die Aufgabepost verwog ihn mit 4 1/4 Loth, so dass sich das Franko wie folgte berechnete: Brief unter 15,625g mit Muster bis 2 Loth über 20 Meilen = 9 Kr., bis 4 Loth = 18 Kr. und wie hier über 4 bis 6 Loth = 27 Kr. CM.

    Sind schon Briefe im 1. Gewicht als Muster ohne Wert(h) anhängend nicht gerade häufig, so sind jene über 4 bis 6 Loth m. E. große Seltenheiten.
    Briefe aus Österreich nach Bayern mit Firmenstempel - Vorausentwertung kannte ich bisher gar nicht.
    Leitungen via Bodenbach habe ich Dutzende - schneller als dieser hier war aber bisher kein nachgewiesener Brief, zumal innen der Empfänger den Erhalt am 21.6. bestätigte und hinzu fügte, dass er den Brief sogar noch am selben Tag beantwortete (also noch zur Post brachte). Das war dann vor 19 Uhr in Kitzingen der Fall.

    Bilder

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Lieber Ralph,
    Das ist ein Schmankerl und eine schöne Geschichte.
    Von Bayern kennen wir diese Art der "Vorausentwertung" von Bamberg. Welche Vereinbarung mag da zwischen der Absenderfirma und der Post bestanden haben, dass die ja eigentlich entwerteten und damit wertlosen Marken dennoch anerkannt wurden!?
    Liebe Grüße von maunzerle :thumbup:

    "Ein Leben ohne Philatelie (und Katzen) ist möglich, aber sinnlos!" (frei nach Loriot, bei dem es allerdings die Möpse waren - die mit vier Beinen wohlgemerkt)

  • Lieber Peter,

    dieser Modus war im 19. Jahrhundert weltweit "verbreitet", wenn davon auszugehen war, dass der Überbringer dieser Briefe ein unsicherer Kantonist war. In Bayern finden wir ja nur ganz wenige Briefe, die diesem Muster eindeutig entsprechen - selbst außerhalb Europas stempelte man mit dem Firmenstempel bzw. schrieb man mit Tinte über die Marken, um ihre Abnahme sinnlos zu machen.

    Es wäre mal schön, solch eine Weltsammlung zu betrachten, die natürlich erst einmal im 1-Rahmen-Bewerb anzufangen haben würde, weil die Stücke halt nicht sooo zahlreich sind.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Liebe Freunde,

    heute ein Brief aus dem wunderschönen Wien vom 29.7.1853 über Prag und Bodenbach nach Haunsheim bei Gundelfingen. Der gegen 15.00 Uhr ("3 Uhr Abends") aufgegebene Brief kam mit der Bahnpost aus Sachsen am 31.7. schon in Bayern an und wurde am 1.8. in Gundelfingen Ankunft gestempelt. Der Empfänger war Freiherr von Goltz, der sicher ein Postfach in Gundelfingen hatte, so dass irgendwann ein Lakai daher kam und die Post für seinen Herrn abholte.

  • Hallo bk,
    .
    Markenschnitt allseits breit vollrandig wie vom Bildrahmen der Mona Lisa, Klasse Bahnpostbeleg, Gesamtoptik entzückend..

    Super + Gruß!
    .

    vom Pälzer :P

    Wer um Postgeschichte einen Bogen macht, läuft am Schluss im Kreis

  • ... danke - ich knoble noch, warum Bodenbach - Sachsen mal stempelte und warum nicht. Zufall? Derzeit habe ich kein System gefunden, aber ich bin ja noch jung ... :D:D

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Liebe Freunde,

    manchmal klappt alles und dann kommt auch noch das Glück hinzu ...

    Wien, 16.11.1856, nach Vilseck in Bayern mit Laufwegsvorgabe "Baiern über Regensburg und Grünwald frei". Der Laufwegswunsch des Absenders konnte leider nicht eingehalten werden, weil man ihn über Prag (17.11.) und damit Bodenbach - Plauen - Nürnberg nach Vilseck verschickte (lag östlich von Nürnberg).

    Vor dem April 1851, als es die Bahnstrecke Wien - Prag - Dresden - Berlin noch nicht gab, hätte man ihn sicher so geleitet, aber 1856 gab allein die Bahn vor, wie Briefe im DÖPV und darüber hinaus zu laufen hatten.

    Der Ankunftsstempel mangelt, aber der Prager Transitstempel ohne den Bodenbacher Transitstempel belegen die Leitung eindeutig.

    Als er bei mir ankam, öffnete und las ich ihn natürlich, wie alle meine Briefe (so ich sie lesen kann). Den letzten Absatz auf der linken Seite möchte ich hier wiedergeben (es schrieb der Sohn an die Eltern und wie es sich damals gehörte nannte man die Eltern noch "Sie"):

    "Meine Adresse ist = An N. N. bei Herrn Franz Doll Pfeifenbeschläger wohnhaft Windmühle kleine Steingasse Nr. 82 oberer Erd Thür Nr. 11. Wen Sie vielleicht bald an Franz schreiben theilen Sie ihm meine Adresse mit. Beiligendes Briefchen übergeben Sie meiner Großmutter."

    Aha - ein höchst präzise Adressangabe und einen geschmuggelten Brief an die liebe Großmutter hatte man beigegeben, ohne dass man ins 2. Gewicht kam - das finde ich außergewöhnlich. Wäre es ein bayerischer Postbetrug, käme das gute Stück in meine Contraventions - Sammlung, so darf er in die Sammlung Bayern - Österreich Einzug halten.

    Wer mir einen Brief von Vilseck (oder Bayern) an die obige Adresse anbieten kann, wird reich belohnt werden! Da bezahle ich gerne den doppelten Sem - Katalogpreis.

  • Liebe Freunde,

    eine weitere Wissenlücke konnte geschlossen werden, was die Leitung österreichischer Briefe via Bodenbach nach Mittel- und Oberfranken angeht, wie der Portobrief aus Wien vom 6.8.1854 - 18.00 Uhr Aufgabe, beweist. Ohne Prag oder Bodenbachstempel, die es hier gar nicht braucht, zeigt der perfekte Ankunftsstempel von Nürnberg vom 8.8.1854 - 17.00 bis 18.00 Uhr, dass er niemals mit Postkutschen hätten transportiert werden können, um nach nur 47 Stunden die Strecke Wien - Nürnberg (Luftlinie 412 km, tatsächlich zurückgelegte Strecke allein mit der Bahn jedoch ca. 780 km) zurücklegen zu können.

    Es errechnet sich also ein Schnitt von 16,6 km pro Stunde - dabei muss man natürlich noch bedenken, dass auch Züge mal warten mussten, hier und dort anhielten, Wasser bzw. Brennstoff aufnehmen, Waggons oder gar die Lok tauschen mussten usw. usw.. Würde man diese Zeiten abziehen, käme man sicher auf einen Schnitt von 50 km/h und das war ziemlich genau das 10fache dessen, was Postkutschen schafften (die ja auch und noch viel häufiger anhalten mussten, umladen, die Post neu zu kartieren hatten usw..).

    Bilder

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Lieber Ralph,
    Schön zu lesen, wie Du auch ohne Durchgangsstempel den Laufweg plausibel machst!
    Liebe Grüße von maunzerle :thumbup:

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  • Lieber Peter,

    vielen Dank - dafür brauchte es der Einsichtnahme/des Kaufs von gut 150 Belegen, einer chronologisch/statistischen Aufarbeitung, des Abgleichs neu angelegter Bahnlinien und der Verinnerlichung der Kartierungssysteme Österreichs, Sachsens und Bayerns. Aber das ist ja alles machbar, wenngleich nicht am Wochenende ... ^^

    Liebe Grüsse vom Ralph

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  • . . . und nicht von jedem! :thumbup:

    "Ein Leben ohne Philatelie (und Katzen) ist möglich, aber sinnlos!" (frei nach Loriot, bei dem es allerdings die Möpse waren - die mit vier Beinen wohlgemerkt)

  • Liebe Freunde,

    Heiner Zinoni hat mir, wieder einmal, einen tollen Brief verkauft, der von Wien am 26.7.1851 nach Augsburg lief und der dort schon am 28.7.1851 zwischen 19.00 und 20.00 Uhr ankam, also über Prag - Bodenbach - Hof gelaufen sein muss (mit der obligaten Kutsche wäre er nicht mal an die österreichisch - bayerische Grenze in dieser Zeit gelangt).

    Da die Bahnstrecke Wien - Prag - Dresden - Berlin via Bodenbach im April 1851 eröffnet wurde, aus diesem Monat aber keine Briefe (bisher!) bekannt sind, dürfte das mein frühester Brief sein. Langsam taste ich mich näher ...

    Bilder

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.


  • Liebe Freunde,

    heute zeige ich einen Brief vom 2.6.1856, wie ich ihn schon lange gesucht hatte. Zlin (vom dortigen Schloß des Absenders, Claudius Wilhelm Freiherr von Bretton, geb. 12.7.1822, gestorben 11.3.1879) "Gegen Auf- und Abgabsrecepisse" an "Hochwohlgeboren Dem Hern Herrn Hauptmann von Gmainer Flügeladjutanten Seiner Majestät des Königs Ludwig etz etz etz in München".

    Der Absender hatte dafür zu zahlen: 9 Kreuzer Franko mit Marke über 20 Meilen nach Bayern unter 1 Loth. 6 Kreuzer Aufgabsrecepisse (Recommandation) mit Marke auf dem Brief selbst - immer hinten und weitere 6 Kreuzer für die Abgabsrecepisse (Rückschein, Retour - Recepisse) auf derselben zu frankieren, in toto also 21 Kreuzer!

    Siegelseitig ist der Laufweg gut belegt: Napagedi 2.6., Bodenbach 4.6. und München 5.6.1856.

    Interessant ist noch die Verwendung des Stempels "RECOM:" von Zlin nur auf der Siegelseite der 6 Kreuzermarke, nicht aber frontseitig. Jedenfalls hat Herr von Gmainer am 5.6.1856 diesen wichtigen Brief erhalten, im Postbuch und in der Abgabsrecepisse unterschrieben und diese vollzogen unter Recommandation wieder nach Zlim zurück gehen lassen.

    Briefe mit Auf- und Abgabsrecepissen sind trotz des bedeutenden Postaufkommens zwischen diesen beiden Postgebieten sehr selten.

  • Liebe Freunde,

    einen Brief mit einem Fragezeichen zeige ich aus Triest vom 13.5.1853 nach Füssen, der treffend mit 9 Kreuzern frankiert wurde.

    Was jemand als 13 notierte, weiß der Himmel (so der ein glücklicher Österreicher ist, denn in Bayern wären 13 Kreuzer nie eine Frankaturstufe gewesen). Am 17.5. kam der Brief endlich in Füssen an und wir hoffen für den Empfänger, dass er weder 13 Kreuzer, noch sonst irgendetwas für ihn zahlen musste.

  • Hallo Martin,

    vielen Dank, ja, das wäre möglich - aber Gewichtsnotationen sollten eigentlich oben links erfolgen und auch nur dann, wenn das ermittelte Gewicht knapp an einer anderen Gewichtsstufe lag (jedenfalls bei unrecommandirten Briefen).

    Die Tinte ist auch eine andere, als bei der Adresse, also sollte evtl. die Post das notiert haben, nicht der Absender und nicht der Empfänger.

    Es könnte auch ein "B" für Bayern sein, also eine Präzisierung des Zielortes, aber auch das muss Spekulation bleiben.

    Liebe Grüsse vom Ralph

    "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Vicco von Bülow aka Loriot.